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G^ov 5Zo.4.l^

DarvarD Colleae XiOrari?

B3ilED

FROM THE

J. HUNTINGTON WOLCOTT

FUND

GIVEN BY ROGER WOLCOTT [CLASS OF X870] IN MEMORY OF HIS FATHER FOR THE "PURCHASE OF BOOKS OF PERMANENT VALX7E, THE PREFERENCE TO BE GIVEN TO WORKS OF HISTORY, POLITICAL ECONOBCY AND SOCIOLOGY"

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Das Reeht des modernen Staates.

Erster Band.

AUgemeine Staatslehre.

Von

Dr. Georg Jellinek,

ord. Professor der Rechte an der Uniyorsitat Heidelborg.

Zwelte^

durchgesehene und vermehrte Auflage.

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Berlin.

Verlag von 0. Hiring.

1905. "^

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I

Allgemeine Staatslehre

Von

Georg Jellinek.

Zweite^

durchgesehene und vermehrte Auflage.

-•-•K^-o-

Berlin.

Verlag von 0. Haring.

1905.

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6)

Vorrede zur ersten Auflage.

Das Yorliegende Werk Terdankt seine Entstehnng sowohl dem begreif lichen Drange des Forschers, den Ertrag eines wissen- scbaftlichen Lebens, der bisher in einer Anzahl von Monographien sicb darstellte, zn systematiscber Einbeit zusammenzufassen , als ancb dem Wunscbe des Lebrers, seine ZubOrer anf ein Bucb ver- weisen za kSnnen, das, dem gegenwttrtigen Zustand der Wissen- scbaft angemessen, ancb literariscb die Anffassnng der Probleme ▼ertritty wie er sie vom Katbeder berab verkttndigt.

Aber nicbt nnr an Facbgenoseen nnd ScbUler will es sicb wend en. Das Interesse an den staatlicben Grundproblemen ist ja zweifellos vor den sozialen Fragen in den Hintergrund ge- treten, nnd grtSfsere Anfmerksamkeit pflegen gegenwKrtig nur die- jenigen Arbeiten Uber Staatslebre zu erregen, die in der Mode- tracbt der Sozialpolitik oder der Soziolog^e auftreten.

Es ist denn ancb seit mebr als einem Menscbenalter kein znsammenfassendes Werk anf diesem Gebiete entstanden, das ttber den engen Kreis der Znnft binausgegrififen blltte. Gewifs ist daran ancb der Zustand der Wissenscbaft scbuld. Wie wenig ist da von sicberen Besnltaten anfznweisen ! * Ist docb fast alles strittig: Metbode, Plan und Ziel der Forscbung, Art der Feat- stellung nnd Dnrcbbildnng der einzelnen Ergebnisse. Die grilnd- licbe , fast m(k^bte ich sagen : mikroskopiscbe Art der neueren Untersncbnngsweise bat dem glUubigen Vertrauen frUberer Zeiten ein Ende gemacbt und dort, wo man einst felsenfeste Axiome sab, ein wogendes Meer von Zweifeln gescbaffen.

Und dennocb kann ein lebenskrftftiges Yolk zu keiner Zeit eine ansgeprilg^ Lebre vom Staate entbebren. Es mnfs daber von der fortscbreitenden Wissenscbaft immer wieder der schwierige

yi Vorrede zur eniten Auflage.

Versach gewagt werden, den Staat ihrer Zeit ftlr ihre Zoit zu erfassen nnd darzustellen. So will denn auch dieses Werk die Ergebnisse der neueren Forschung einem weiteren Kreise zu- gftnglich machen.

Damit ist aber anch die Art der Darstellung gegeben. Sie darf einerseits nichts voraassetzeii , was nnr dem Fachmann be- kaiint ist, und mufs anderseits mit einer selbstftndigen Ansicht dnrch ein Heer von Kontroversen hindurchscbreiten, obne durcb zu umfangreicbe Polemik gegen abweicbende Meinungen den Leser zu verwirren. Die Literaturangaben soUen ancb dem weniger Belesenen dienen; daber war ans der unabsehbaren Menge von Arbeiten, die der Soziallebre des Staates gewidmet sind oder mit ihr in Verbindung stehen, eine passende Answahl zu treffen. Docb wird in alien wicbtigen Fragen aucb der Kun- dige, vomebmlicb im letzten Bacbe, die Literatur in weitestem Umfange benntzt finden. Hinsichtlicb der Klteren Literatur babe icb, um Wiederbolungen zu vermeiden, bttufig auf meine frUheren Arbeiten verwiesen.

Ober Plan und Inhalt des ganzen Werkes babe icb micb in den einleitenden Untersucbungen des nftberen ausgesprocben, Der vorliegende Band ist zugleicb ein in sicb abgescblossenes Werk. Weun an verscbiedenen Stellen n&here Ausftlbrungen vermifst werden, so sei zur ErgHnzung auf den zweiten Teil ver* wiesen. Er soil die spezielle Staatslebre entbalten, als Dar- stellung der einzelnen Institutionen des modernen Staates, und zwar in stetem Hinblicke auf die deutscben Verbliltnisse. Soil nUmlicb ein solcbes Untemehmen sicb nicbt ins Grenzenlose ver- lieren, so mtlssen sicb seine Resultate um einen festen Mittel- punkt kristallisieren, der kein anderer sein kann als der eigene Staat und das beimiscbe Becbt

Heidelberg, im Juli 1900.

Vorrede zur zweiten Auflage.

Nacb yerhftltnism&fsig knrzer Zeit ist eine zweite Aafla§^ der AUgemeinen Staatslelire notwendig geworden, Docb ebe es mir mtfglich war, den sweiten Band des gansen Werkes zu vollenden. Aucb ist nnterdessen eine vortreffliche , von mir antorisierte franztfsische Dbersetznng des Bncbes bereits znm Teil erscbienen, eine msBiscbe scbon vor zwei Jabren veranstaltet worden. Das ist wobl als Zeicben dafhr zn denten, dais das Interesse an den Problemen der allgemeinen Staatslebre wieder im Bteigen begriffen ist, dem gesamten Streben der Oegen- wart entsprecbend , das auf Znsammenfassnng der nnermefs- licben Einzelforscbnng anf alien Wissensgebieten gericbtet ist nnd den toten Stoff einer ungebenren TatsacbenftlUe sinnvoU zn beleben nnd zn dnrcbgeistigen verlangt.

Diese nene Auflage wnrde nicbt nnr grttndlicb dnrcbgeseben nnd bat dabei mebrere Verbessernngen erfabren, sie bat ancb mancbe Andemng nnd eine nicbt nnbetr&cbtlicbe Erweiterung anfznweisen, indem Wicbtiges eingebender ansgeflibrt oder (wie z. B. die Untersncbnngen fiber rechtlicbe Macbt, S. 351 ff.) nea binzngekommen ist.

Die nmfangreicbe Literatur, die in dem Lnstrnm seit dem Erscbeinen der ersten Anflage die zablreicben Probleme der allgemeinen Staatslebre er($rtert oder berttbrt bat, ist, soweit es im Rabmen eines solcben Werkes m6glicb nnd n5tig ist, an- gefUbrt nnd bentltzt worden. Ancb kritische Er(5rternngen sind, namentlicb znr Abwebr, binzngeftlgt worden. Hingegen wnrde mancbe polemiscbe Bemerknng aus der ersten Auflage in die zweite nicbt mit beriibergenommen.

Der Dmck des Bncbes bat bereits im Februar d. J. be-

VJLJLl Vorrede zur zweiten Auflage.

gonnen, auf spHtere Erscheimmgen konnte daher nur noch ganz ausnahmsweise Rttcksicht genommen werden.

Urn den Gebrauch des Baches zu erleichtern, wurde ihm, Tielen Wttnschen entsprechend , eiu eingehendes Register an- gefttgt.

Heidelberg, im Jali 1905.

Georgr Jelllnek.

Inhaltsverzeichnis.

ErstoB Buch. Einleitende Untersuchungren.

SeiU

ErBtes Kapitel. Die Aufgabe der Staatslelure . . 3 ^23

1. Die wissenscbaftliche Stellung der Staatslehre. . 3 9

Gksellschaftswissenschaften und Staatswissenschaften. Die einzelnen StaatswissenscbafteD. Die Staatslehre als theo- retische Staatswisaeoschaft.

2. Die Gliederung der Staatslehre 9—13

Allgemeine nnd besondere Staatslehre. Einteilung der all- gemeinen Staatslehre in allgemeine Soziallehre des Staates und allgemeine Staatsrecbtslehre. Gegensatz und Zusammen- hang beider.

S. Die Politik und ihr Verh&ltnis zur Staatslehre. . 13 19 Die Politik als angewandte Staatswissenschaft und als A^nnstlehre^ Ibre Bedeutung fur die Staatslehre und die ISiaatsrechtsl^bre insbesondere.

4. Kausal- und Normwissenscbaft 19 21

Verhaltnis der Staatslehre und Politik zu beiden.

5. Begrenzung der Aufgabe einer allgemeinen Staats- lehre . .> 21—23

AusBchliefsun^gN pr&historiscber Forschung. Beschr&nkung auf die heutige abendl&ndische Staatenwelt. Ausschlufs der Politik, mit Ausnahme der Grenzgebiete zwischen ihr und der Staatslehre.

Zweites Kapltel. Die Methodlk der Staatslehre . 24—51

1. Notwendigkeit methodologischer Untersuchung . 24—26 Hethodologischecyerwirrung in den Sozialwissenschaften und deren Grunde, Feststellung der Forschungsprinzipien der Staatslehre gefordert.

XII InhaltByerzeichnis.

^ Seite

s. Offentliche Meinung und SUat 99—100

4. Familie und Staat 100—101

5. Verbandsleben and Staat 101—108

6. Wirtachaft und Staat. Yerfassungaentwick- lung von wirtschaftlichen Momenten mit- bestimmt Klasaenlehre und Staatalehre. Einflufs staatiicher Rechtsordnung au£ das Wirtschaftsleben und umgekehrt. Staat als Wirtschaftssubjekt , Gegenstand der Staatawtrtschafts- oder Finanzlehre. . . . 103 108

7. Religion und Staat 108—109

8. Die politischen Parteien und der Staat: notwendige, zuf&llige, unecbte, fragmen- tarische Parteien. Politisches Parteiieben, Kampf der Gesellschaft urn staatliche Herr-

schaft 109—112

9. Nation und Staat. Nationen nicht natur- liebc, sondern geschichtlich - soziale Bil- dungen. Kein einzelnes objektives Kri- terium der Nation ni5glich. Fhr Weaen subjektiycr und d^namischer Natur. Stets durch den Gegensatz zu anderen Gruppen bedingt 112—116

10. Internationale GeBelischaftarerbUltnisse und

Staat 116—117

11. Gegensatz der bewufsten beabsicbtigten und der unbeabsichtigten Einwirkungen des Staates auf gesellschaftliche Verbftltnisse. Letztere in der Regel die starkeren . . . 117—120

Zweites Buch. Allgfemeine Soziallehre des Staates.

ViinfteB Kapitel. Bar Name des Staates . . 128 129

Griechische, romische, mittelalterlicbe Terminologie. Ent- Btehung des Wortes ^Staat". Seine Mehrdeutigkeit bis in die neueste Zeit. Andere Bezeichnungen.

Seohstea KapiteL Baa Weaen dea Staates . 130 176

I. Die Erkenntnisarten des Staates ISO 134

Objektive und subjektive Betrachtungsweise. Historisch- politische und juristische Erkenntnisweise.

II. Die einzelnen Staatstheorien 184—166

A. Theorien vom uberwiegendeii objektiven Sein der

Staaten 134—142

1. Der Staat als Tatsache 134—136

Inbaltsveneichnis. Xm

2. Der Staat aU Zustand 186—187

3. Der Staai ak identisch mit einem seiner Ele-

mente 137—141

a. Der Staat als Yolk 188—189

b. Der Staat als Herrscher oder Obrigkeit . . 139— 4^^

4. Der Staat als naturlicber Organismus 141—142

B. Tbeorien vom aberwiegenden subjektiven Sein der

Staaten 142—155

1. Der Staat als geistig-sittlicber Organismus . . . 142 151

Diese Lehre bereits in der antiken und mittel- alterlichen Staatslehre zn finden. Ihre Ab- lebnnng von seiten des Natnrrechts. Ihre Wieder^ aufnahme durch die historiscbe Recbtsschule. Neuere Lcbren vom Staate als hSberem Organis- .^ mas. Organische Theorie Gegenstuck der indivi- dualistiscben. Unm&gliohkeit befriedigender £r- klamng des Organismus. Prufung der objektiven fixistenz des Organismus flberhaupt 142 146

Prufung der organ ologischen Hypothese . . . 146—151

2. Der Staat als KoUektiv- oder Verbandseinheit. . 152 155

Im antiken, mittelalteriicben , naturrechtlichen Gredankenkreis. Bei Modemen : Gierke, Ber- natsik, Haenel. Sie gibt nur den Oberbegriff.

G. Die juristischen Lehren vom Staate. Der

Staat als Bechtsbegriff 155—166

Durch den Bechtsbegriff kein reales Sein des Staates erkannt. Notwendigkeit der £r5rterung der einzelnen juristischen Theorien vom Standpunkt heutiger publizistischer Wissenschaft. Drei M^glich- keiten juristischer Erfassung des Staates 155 157

1. Der Staat als Objekt Der Staat als Anstalt . . 157-159

2. Der Staat als Bechtsverh&ltnis 160-162

3. Der Staat als Bechtssubjekt. Vereinigungstheorien 162—166

BUckblick auf die Staatstheorien. Erklftrungs- versuche entweder individualistisch atomistisch oder kollektivistisch-universalistisch 166

m

m. Entwicklung des Staatsbegriffes 166—176

1. Der soziale Staatsbegriff 167—175

Sozialwissenschaften sftmtlich Wissenschaften menschlicher Belationen und deren ftufserer Wir- kungen. Der Staat ist Funktion menschlicher Ge- meinschaft, nicht naturliches Gebilde. Er besteht in Willensverhftltnissen. Wissenschaftliche Forderung eines Einheiti»prinzip8. Baumliche, zeitliche, kausale, formale Einheiten 167—170

XIV Inhaltsverzeichnis.

Seite Einheit des Staates teleologisch-organiaierte Elinheit

(VerbandBeinheit). Definition des Staates 171—175

2. Der juristische Staatsbegriff 175—176

Der Staat ist Rechtssubjekt, n&her bestimmt K5rperschaft.

BiebentBB KapiteL Die Iiehren von der Beoht-

fertigang des Staates 177—222

L Das Problem 177-179

Die Frage nadi d^m Grund des Staates ist praktischer Natur. Yersciiiedene Wage ihrer Losung. Die fanf Arten der Begriindung des Staates.

II. Die einzelnen Theorien 179-218

1. Die religi5s-theologiscbe Begriindung des Staates . . 179—185

Geschicbte dieser Lebre dient den verscbiedensten politiscben Parteien. Y^i'^^^^^ ^^^ Z^^l.

2. Die Macbttheorie i 185-190

r- Gescbichte der Macbttbeorie und deren Kritik.

^r Cbarakter staatszerstQrend. J

3. Die Recbtstbeorien 190—210

a. Familienrecbtlicbe Begriindung des Staates. Die Patriarcbaltbeorie 190-192

b. Die Patrimonialtbeorie 192 194

c. Die Vertragstbeorie 194 210

Sie ist die bedeutendste Hecbtstheorie. An tike Yorg&nger. Einflufs judiscber und r5miscber Vor- steliungen auf das Mittelalter und die neuere Zeit. Verfoigung politiscber Zwecke durcb die Vertragslebre. Anf&nglicbes tJberwiegen der Vor- stellung Yom Subjektionsvertrag uber die vom Gesellacbaftsvertrag 194—198

Entwicklung der Lebre vom Gesellscbafts- vertrag. Ibre wissenscbaftlicbe Ausbildung durcb Hobbes; rationaler Cbarakter seiner Lebre . . . 198 203

Locke, Pufendorf, Rousseau 203 205

Kant (Svarez). Bedeutung des rationalen Grund- gedankens def Lebre. Logiscbe (Yfillendung der Lebre durcb Ficbte. Historiscbe Wirkung der Vertragstbeorie 206—210

4. Die etbiscbe Tbeorie 210—212

5. Die psycbologiscbe Tbeorie 212 213

III. S^stematiscbe Entwicklung der Recbtferti- gungstbeorie 213 222

Staatlicbe Zwangsgewalt durcb die psycbologiscb-bisto- riscbe Tbeorie nicbt erklart. Organisation Vorbedingung jeden gedciblicben gemeinscbaftiicben Wirkens. Grund- irrtum der anp.rcbistiscben und sozialistischen Tbeorien . 213 218

InhaltsFeneichDia. j^y

Die Bechtsordnung einzige Garantie gesellflchaftlichen LebenB. Frage nach dem Grand des Staates gleich der nach dem Grunde des Eechtes, Unm5glichkeit allgemeiner Bechtfertigung eines konkreten Staates. Einschr&okaDg der Bechtfertigung des Staates auf den gcgenwftrtigen nnd kunftigen Staat. Verbindung der Lehre von der Bechtfertigung des Staates mit der yon den Staats- zwecken 218 222

Aohtes Kapitel. Die liehre Torn Zw^i^ den Btaatea 228—258

I. Das Problem 223—282

Dessen Vemachl&ssigung in neuester Zeit. Verschieden- artigkeit der Fragestellung : nach dem objektiven uni- versalen Zweck ; bei Plato und der christlichen Theologie. Seine Negierung durch eine mechanisch-materiaiistische, seine Bejahung durch eine teleologische Weltanschauung. Frage nach dem objektiven parti kularen Zweck. Willkur- lichkeit der Beantwortung, ihre Bedeutung fur das popu-

l&re Bewufstsein 228—226

Frage nach dem subjektiven Zweck. Ihre Notwendigkeit. Subsumierung der mannigfaltigen Zwecke unter oberste Zwecke. Formal e Staatsdefinition nicht genugend fur um-

fassende Erkenutnis des Staates 226 229

Praktische Bedeutung der Erkenntnis des Staatszwecks. Deren Grenzen 229—282

II. tTberblick uber die einzeluen Zwecktheorien . 282-248 Die Lehre bei Aristoteles, den HQmem, der neueren naturrechtlichen Literatur. Ihre Umwandlung mit dem Siege der historischen Schuie. Lehre von der Zwecklosig- keit des Staates. L. v. Haller, Verwechslun^von Zwecken und Funktionen. Einflufs des Idealtypus aUf &ltere Zweck- lehren. Lehren vom absoluten Zweck. Ihr agitatorischer Kern. Die relativ - konkreten Staatszwecke. Einteiiung der absoluten Theorien 282—235

1. Die Lehren von den expansiven Staatszwecken . . . 285—289

a. Die eudamonistisch-utilitarische Theorie 285 287

b. Die ethiache Theorie 287—289

Abart: Lehre vom religioscn Beruf des Staates.

2. Die Lehren von den limitiereuden Staatszwecken . 289 248

Zweck des Staates : Sicherheit, Freiheit oder Becht. Verschiedene Auffassung der Freiheit. Lockes Be- grundung der liberalen Bechtstheorie. Bechtszweck bei Kant und seiner Schuie. Neuerer Liberalismus. Zweck des Staates hier zu eng. Forderung des Gesetzes als Schranke: bei den Alten, Hobbes, Bousseau. Vereinigungstheorien.

XYI Inhaltsyerzeichiiis.

Seite

ni. Entwicklung der Theorie der relativen Staats-

zwecke 248— 25&

1. Psychologische and physische Grenzen der Staata- t&tigkeil Regulierende Wirknng dieser Einsicht fftr

das Staataleben ./^T 248—244

2. Solidarische planmfifsige menschliche Lebensfturse- mDgepJ)Bind dem Staaie eigentumlich. Ihre Zuriick- f&hrung auf das Bewahren, Ordnen, Unterstutzen. Ausbildang der Individualitftt als Solidarinteresse. Ausbreitung der Solidaritftt der Interessen mit wachsender Kultur. Ausschliefsliche and konkar- rierende Staatszwecke 244—248

8. Ausschliersliche Staatsaafgaben : Schatz der Gesamt-

heit and ihrer Glieder, RftiyAhninjty ;ipd "RThfthmig

^ des international en Ansehens, Erhaitung and For-

/ derang der eigenen Existenz darch inn ere Staats-

tatigkeit 248—249

4. Ausschliefsliche Staatsaafgaben ferner: bewufste Fort- bildung and Aafrechterhaltang der Rechtsordnung

and damit FQrderang der Kaltarinterossen 249 250

5. Hohere Kaltarzwecke in der RoUe von Mitteln fQr den Macht-, Schatz- and Rechtszweck. Historisch bedingte Aasdehnung der Staatst&tigkeit 250 252

6. Vcrhaltnis des Staates za den einzelnen Interessen. Tendenz za fortschreitender Organisation, Soziali- sierang, Zentralisierang, internationaler Verwaltang. Evolutionistischer Standpankt gegenuber der Wohl- fahrtspflege 252—256

7. Zusamm^nfassang. Individaelle, nationale, mensch- heitliche Solidarinteressen 256—258

Neuntes Kapitel. Entatehung und Untergang

des Staates 259—279

1. Entstehang des Staates 259—276

Primare and sekandare Staatenbildung. Staat als Pro- dukt-menschlicher Anlagen, seine Bildung vonRechtsbildung begleit^' Dem antiken Denkeu ist die Staatenbildang rein faktlscher Art. Wird als rechtlicber Prozcfs aa^efaPst im Mittelalter, sodann in neueren Lehren. DereiKUnhaltbar- keit. £igenerWille des Staates seinRechtsgrand. Schopfungs- akt selbst aufserhalb des Rechts liegend. Form el I e Frei- heit and materielle Gebundenheit des neuen Staates. So bci Gebietszessionen. Umbildung and Neubildang von Staaten. Umbildang beim Aufgeben der Souver&net&t.

2. Untergang der Staaten 276—279

Rein faktisch oder faktisch und rechtlich. Legale Selbst- vemichtung, legale Inkorporierung. Totaler Untergaug,

Inhaltsveneichnis. XVII

Seite

Lostrennung von Staatea. Unhaltbarkeit des Legitimitftta- priiuips. Recht und Billigkeit als BearteiluDgBmarsst&be. Moglichkeit von Zweifeln.

Zehntes Kapitel. Die geBChiobtliohen Haupt-

typen dea Btaates 280-323

Gegensatz oder ObereiDstimmung Mherer staatlicher Verbal tnisse mit den modernen 280—281

1. Der altorientaliBcbe Staat 281—285

Unsere mangelbafte Renntnis yon ibm. Despotic all- gemeines Schlagwort. Ihr Merkmal /-Zufalligkeit der Garantien der Rechtsordnung. Xbeokrati^ and ibre zwei Gmndtypen. Herrscber entweder Vertreter gQttlicber Macbt Oder eingescbr&nkt durcb sie. Z welter Fail beim israelitiscben Staat Bemfung der verecbiedensten poli- tiscben Tbeorien auf ibn.

2. Der belleniscbe Staat 285—305

Die Cbarakteristik des belleniscben Staates in der mo- dernen Literatur. Seine Omnipotenz, C^ggebiiche Recht- losigkeit des Individuums. Plato und Aristo teles als erste Hauptqnelle dieser Lebre. Dazu kommt der moderne Libe- ralismus, um einen Gegensatz zum modernen Staat zu kon- stmieren. Einflnfa B. Constants, dem die Pbilologen und Historiker, aber auch Stabl, R. v. Mobl und andere folgen. M&ngel des belleniscben Idealtypus, dem der spartaniscbe Militarstaat zugrunde liegt Athen zeigt die gescbicbtlicbe YoUendung des griecbiscben Staates 285 292

Cbarakteristik der Polls. Innere Einbeit der Polls scbon im Beginne ibrer Gescbichte. Grdnde dieser Krscheinung. Bedentung der Einbeit von Staat und Kultgemeinschaft. Herrscbaft des Gesetzes. Entwicklung des Individualismus in Athen. Irrtumer F. de Coulanges' 292—297

Weite faktiscbe staatsfreie Sphare des Individuums. Mangel einer Erkenntnis ibrer recbtlicben Natur. Aner- kennung der Privat- und politischen Rechte. Deren Rechts- schutz cuctX^ 297—303

Haltlosigkeit der Constant-Stabl-Mohlschen Lebre . . . 303—304

Zusammenfassende Cbarakteristik des griecbiscben Staates 304 305

3. Der romiscbe Staat 305—309

Analogie mit dem griecbiscben Typus. Einwirkung des rdmiscben Staates auf die moderne Staatenweit. Unter- schied in der Stellung der griecbiscbeu und rOmiscben Familie. Bedeutung der r5iQischen Famiiie fur den Cha- rakter des Staates. Faktische staatsfreie Sphare des rdmiscben Burgers wie in Hellas. Herrschaft des Gesetzes.

J el li nek, Das Recht des modernen Staates. I. 2. Auil. II

XYIU InhaltsyeneichniB.

Seite

JuiiatiBche Erfassang der Qaalit&t des Burgers aU Trfigem von Ansprochen an den Staat Abstufdngen der Zivit&t VoUpersdnlichkeit nar im Burger yorhanden, auch nach dem Siege des Ghristentnms. Fortschreitende Reduzierung der indiyiduellen Freiheit im sinkenden Rom. Ihre Yer- nichtung seit Konstantin.

4. Der mittelalterliche Staat 809— dl6

Sein Gegensatz zum antiken. Anf&nglich rudiment&re Staatsbildungen. Germanischer Landstaat ohne Zentrali- sation. Notwendigkeit der monarchischen Staatsform. Dualismus zwischen KOnigs- und Volksrecht*. Seine Ver- Bch&rfung durch Feudalisierung. Der st&ndische Staat sein Jypischer Ausdruck 809 814

Seine Einschr&nkung durch die Kirche. Monistisch ge- staltete italieniscbe Stadtrepubliken. Machiavelli. Kirche monistisches Vorbild fur den Staat 814—816

5. Der moderne Staat 816—828

Sieg des Staates fiber die Kirche seit der Reformation. Furstlich-st&ndischer Kampf und seine L5sungen. Bedeutung der LOsung im absolutistischen Sinn. Moderne Revolutionen. Antiker Ausgangspunkt ist Endpunkt f&r den modernen Staat. Der Einheitsstaat in der politischen Theorie. Hobbes, Locke, Rousseau 816—819

Unterschied des modernen Staates vom antiken. Be- wufstsein von der staatsfreien Sph&re des Individuums als Resultat des uberwundenen Dualismus 819 321

Dessen Einwirkung auch auf die naturrechtliche Schule. Gegensatz antiker und modemer Staatslehre auf dem Gkgen- satz yon Monismus und Dualismus beruhend 821—828

Blftes Kapitel. Staat and Beoht .... 824—868

I. Das Problem des Rechts 824—829

Das Recht als innermenschliche Erscheinung. Die Ober- zeugung yon seiner Gultigkeit seine Basis '. I 824 826

Seine staatlichen undnichtstaatlichenGarantien. Rechts- normen sind nicht Zwangs-, sondem garantierte Normen . 826 829

II. Die einzelnen Fragen 829—868

1. Das Problem des Staatsrechts 829—854

Gibt es ein solches ? 829

1. Normatiye Kraft des Faktischen. Ihre Bedeutung fur Entstehung und Dasein der Rechtsordnung und fur das Staatsrecht. Macht und Recht keine Gegeos&tze 829-886

2. UmsetzuDg der Vorstellung yom Recht in das Faktum. Das Naturrecht und seine geschichtliche

InhaltsveneichiiiB. ICIX

SmU

Bedeutung. Seine Yerwerfang keine Erklfirnng. Seine Basiemng auf der psychischen Ausstattnng des Menschen 886--d45

s. Gegenseitige Erg&nzung des konservativen and des evolutionistischen Elements der Rechtsbildung. Das System des Offentlichen Rechts nicht ge- schlossen. Staatliche Existenz seine Schranke. VOilige Anarchie bei entwickelter Kultur un- mSglich 845-351

4. Grenzen des Staatsrechts : Macht and Becht. . . 851 354

2. Der Staat and die Rechtsbildang 854-857

Fortschreitende Rechtsbildang vom engeren zom weiteren Verband. Aa&augung der Rechtsbildang dojch den modemen Staat. .

8. Die Bindang des Staates an sein Recht 857 864

' Selbstveipflichtong des Staates in jedem Rechts-

satz. , 857—860

Sozial-psjchologische Grandlage staatiicher Rechts- verh&ltnisse. Historische Entwicklang der An- schaaangen daruber. Konstante and variable Rechts- bestandteile. Unm5glichkeit staatiicher Pflichten vom Standponkt konseqaenter absolatistischer Staatsaaf- fassang 861—364

4. Der Staat and das Vdlkerrecht 864—868

Entstehang des YClkerrechts in der christlichen Staatenwelt. Kriteriam seiner Existenz, seine Aner- kennang darch die Staaten. Gesamtheit der Rechts- merkmale bei ihm gegeben. UnyoUkommenheit des Vdlkerrechts. Vdlkerrecht ein anarchisches Recht

Drittes Buch.

Allgremelne Staatareohtslehre.

Zwdlftei^ Kapitel. Die Qliederong des 5ffent-

lichen Beohtes 871-880

. Privat- and dffentliches Recht. AUes Priyatrecht Sozial- reeht and aaf 5ffentlichem Recht ruhend. Schwierigkeit der

Grepzbestimmang beider Rechtsgebiete 871—374

^^^IbstAndtgk^ des 5ffentlichen Rechtes. Staatsgewalt ist rechtliche Gewalt, darch V51kerrecht and Staatsrecht ein- geschr&nkt. Gliederang des letzteren in Justizreclit, Ver- waltongsrecht and Staatsrecht im engeren Sinn.. Recht der dffentlichen Verbftnde als Teil des Staatsrechtes. Stellung des Kirchenrechtes. Einteilang des gesamten <}£Fentlichen

Rechtes 874-380

II*

XX Inhaltsyerzeichnis.

Seite

DrelBehntes Elapitel. Die reohtliohe Btellang

der Elemente des Staates 38tl 420

1. Das Staatsgebiet ; . . 381—893

BechtlichesWesendesGebietes. Seine Ausschlierslichkeit 3&1 383 Scheinbare Ausnahmen : 1. beim Kondominium. 2. im Bandesstaat. 3. durch staatliche Zalassung. 4. durch

kriegeriscbe Okkupation 383 385

Gebiet r&umlicbe Grundlage der staatlichen Herrschafts- entfaltung nach aufsen and iunen. Kein Dominium, sondem Imperium. Gebietsherrschaft nicbtsachen-, sondem personen- rechtlicben Cbarakters. Das staatliche Kecht am Gebiete

ist blofs Reflexrecbt 385—388

Unteilbarkeit des Staatsgebietes. £rwerb von Staats- gebiet 389—390

Gebiet der Kommunalverb&nde 390 391

Bedeutung der modemen Auffassung vom Gebiete. . 391 393

2. Das Staatsvolk 393-413

Yolk in subjektiver und objektiver Qualit&t. Yolk als Genossenschaft )der Staatsmitgiieder und als Summe der Untertanen 393—396

Mitgliedscbaft am Staate und subjektives Offentlicbes Recht. Entstehung der Yorstellung subjektiver 5ffentlicber Rechte aus dem mittelalterlichen Dualismus. £rste Aner- kennung angeborener Menschenrechte im Gefolge der Re- formation 396-399

Stellung des Naturrechtes zu den Menschenrechten. Locke und Biackstone. Amerikanische £rkl&rungen der Rechte 399—403

Franz()8ische Erklarung der Rechte yon 1789 und ihre Wirkung 403

Die modemen Lehren vom subjekti ven 5ffentlichen Recht. Dessen Wesen 403—405

Drei Kategorien 5ffentlich-rechtlicher Anspruche. 1. An- spruch auf Freiheit vom Staate. 2. Anspruche auf po.^itive Staatsleistungen. 3. Anspruche auf Leistungen fur den Staat ; 405-411

Offentliche Rechte der Yerb&nde 411

Individuen und Yerbande als Objekt der Staatsgewalt. Einheit des Staatsvolkes, das nur im Staate denkbar . . . 411—413

3. Die Staatsgewalt 413—420

Wesen der Herrschergewalt und ihre Unterscheidung von anderen Gewalten 413 417

Aufsaugung der unteren Gewalten durch die Staats- gewalt 417-419

Staatsgewalt als Gegenstand des Staatsrechtes .... 419 420

Inhaltsverzeichnis. XXI

Seito

Vieraehntes Kapitel. Die Eigenschaften der

BtaatBgewalt 421—490

Die Souveranetat 421—475

1. G^eschichte des Soaverftnet&tsbegriffs 421 460

Souverftnetftt zuerst eine politische Yorstellang . 421 422

1. Antike Vorstellung der Autarkic. Der Souver&ne- t&tsbegriff bleibt den Alien fremd 422—426

2. Entstehnng der Souveranet&tsvorstellung aus dem Gegensatz des Staates zu anderen Machten im Mittelalter. Die Entwicklung in Frankreich. Die ofGzielle kirchliche Staatslebre vermag dieaen Pro- zefs nicbt oder docb nicht vdllig mitzumacbea Das franz(58i8che Staatsrecbt des 16. Jabrhunderts. Die Souver&net&tolehre Bodins. Ihr negativer Charakter 426—440

8. Souverftnetftt and absolute Furstengewalt. Ab- leitnng der Furstengewalt aus dem Yolkswillen. Ideotifizierung von Staat- und Organsouyeranetfit. Ahnungjdes richtigen Verb&ltnisses beider bei Loyseau und Orotius 440—447

4. Yersuche, der Souver&net&t einen positiven Inbalt zu geben. Identifizierung von Staatsgewalt und Souver&netfit Gewinnung allgemeiner Theorien aus dem positiven Recbt bei Bodin, Hobbes und Locke. Fehler dieser Yersuche. Ihre grofse praktiscbe politiscbe Bedeutung 447 451

5. Spatere Scbicksale des Souver&netfttsbegriffs in seinen verschiedenen Fassungen und deren prak- tiscbe Wirkungen. Theoretische Klarbeit erst in der neueren deutscben Staatsrechtslebre durch 41^^^^^^ {i^n<l Gerber angebabnt 451 460

2. Daa Wesen^ der Souveranetftt 460—475

Wicbtige Folgerungen aus der Geschichte des Souverftnet&tsbegriffs 460

a. Der formale Cbarakter der Souveranet&t .... 461 470

Souverfinetat ist unabh^ngige und bSchste Ge- walt. Souveranetat ein Recbtsbegriff. Recbtlicbe Unm5glicbkeit der Anarcbie. Selbstbindung des Staates i)ei recbtscbaffender Tatigkeit im Y5lker- recbt-XParallele mit der sittlichen Autonomie. »Wandfunffl in den ethiscben und juristiscben Theo- ^•cifiil, -^Scbrankenlosigkeit des Staates als juristi- ^ scber Hilfsbegriff.

b. Souver&netAt und Staatsgewalt 470 471

Die Souver&netftt bat keinen positiven Inbalt. Inbalt der Staatsgewalt historiscb wechselnd.

XXn Inhaltsverzeidmis.

Seito

c. Sonverfinetftt kein wesentliches Merkmal der Sta&ts-

gewalt 472—475

Sonverftnet&t keine absolate, sondem historische Kategorie. Geschichte des Unterachiedes yon Bouver&nen und nichtsonver&nen Staaten.

n. Ffthigkeit der Belbstorganisation und der

Selbstherrschaft 475—482

Wesentliches Merkmal des Staates : ursprungliche Herr- schaftsgewalt mit eigener Organisation. Deutsche Glied- staaten, schweizer Kan tone, amerikanische Einzelstaaten sind Staaten. Kommunen, Elsafs-Lothringen, englische Gharterkolonien , osterreichische K5nigreiche und L&nder sind keine Staaten. Identit&t der hSchsten Organe zieht Staatsidentit&t nach sich. Autonomic, eigene Verwaltung und Rechtsprechung weiteres Staatsmerkmal. Yerwand- lung des abhftngigen Staats in einen souver&nen. Grenze zwischen souver&nem und nichtsouver&nem Staat.

III. Die Unteilbarkeit der Staatsgewalt 482-490

Yerwechslung der Begriffe Staatsgewalt und Souve- r&netftt.

1. Die Lehre von der Gewaltenteilung 488—487

Ihre Negierung durch das Naturrecht. Hobbes, Rousseau. ""Hodifikationen bei Locke und Blackstone. Montesquieus getrennte Gewalten, Yerschftrfung der Lehre bei Kant. Theoretische und praktische Be- denken gegen sie. Siey^s. Einheit der Staatsgewalt in der Yielheit ihrer Organe.

2. Die Teilung der Staatsgewalt („der Souver&net&t") im Bundesstaat , . . . 487—490

Einflufs Tocquevilles. Teilung der Kompetenzen ist nicht Teilung der Staatsgewalt 487^490

Fiinf^ehnteB Kapitel. Die StaatsverfaBsung . 491 525

Notwendigkeit einer Yerfassung fur jeden Staat. Deren regelm&fsiger Inhalt 491

L "Oberblick tlber die Geschichte der Yerfas-

sungen 491 517

1. Ursprung des Begriffes der Yerfassungen im mate- riellen Sinne im Altertum. Deren Einwirkung auf das Naturrecht. Pufendorf, Wolff. Entstehung der

Yors teilung schriftlicher Yerfassungen 491—494

2. Yerfassungen im formellen Sinne. Lex fundamen- talis. Deren Beziehung zum Yerfassungsvertrag. Puritanischer Gesellschaftsvertrag. Agreement of the People. Cromwell und das Instrument of Govern- ment. Yerwerfung .d^s Majoritfitsprinzips 494—498

InhaltBveneiehms. XXm

Soito

8. Natarrechtliche Theoiien vom Grandgesets. Hobbes,

Locke, Pufendorf, Bdbmer, Wolff, Yattel, Bonsseau . 496—501

4. Anf&ng^ der geschriebenen Verfassnngen in den ameri- kanischen Kolonien Englands. Ihre Bedeutong fUr die enrop&iBchen Konstitntionen. Ihre Bestandteile : Bill of right. Plan of Government. Verfaasangsftnde- mngen. Verfassnng der Vereinigten Staaten von

1787 501—507

5. Enrop&ische VerfEtSBungen. Charakter der einzelnen franzSsischen Konstitutionen. Ihr Einflafs auf das kontinentale Enropa 507 515

6. Die Belgische Yerfassung von 1831 und ihre Wirknng 515 616

7. Die Verfassnngen yon Schweden, Dftnemark, den Balkanstaaten und der Schweiz 516

n. DieBedeutnng der Verfassnngen im Rechte der

Gegenwart 517--525

Staaten mit nnd ohne Verfassnngsnrkunde. Verfassnngs- inhalt. Rechtlichee Verfassungsmerkmal 517—520

Starre and biegsame Verfassnngen. Kritik beider. Starre Verfassnngen venn5g^n tiefgreifende JLnderunKon nicht zn verhindem. Verfassnngs&nderungen dnrch par- lamentarische Gesch&ftsordnungen 520 525

BeohBehntes KapiteL Die Btaataorgane . . 526 551

I. Allgemeine Er&rternngen 526 530

Psjchologische Sjnthese der Verbandseinheit. Tats&ch- liche Organisationen als nntermenschliche Erscheinnng.

n. Die Arten da4r Staatsorgane 530—551

1. Die nnmittelbaren Organe 530 543

1. Deren Wesen. Einzelperson, KoUegien, jnristi- sche Personen als nnmittelbare Organe. Kreations- o;^fMfer''-*>J^ro&re , sekund&re; einfache, potenzierte; selbst&ndig^ unselbst&ndige ; normale und aufser- ord^htlRSe Organe 530—535

2. Gegensatz politischer und juristischer Betrach- tungsweise. Gesamte Staatsmacht nicht notwendig

einem Organe zust&ndig 535—538

3. Tr&ger der Staatsgewalt nur der Staat selbst Notwendigkeit eines h5chsten Organs. Ausnahme im Bundesstaate 538-543

2. Die mittelbaren Staatsorgane 543 546

Selbsttodige^MScibat^ndige, einfache, potenzierte, notwendige, ^kultatiye N mittelbare Staatsorgane. Gegensatz unmRUw^rer and mittelbarer Organe bei den Verbfinden. Unmittelbare und mittelbare Staats- &mter.

XXIV Inhaltsverzeichnis.

Seite

8. Die RechtsBtelluDg der Staatsorgane 546—551

Einheit von Staat and Organ. Org^n niA Pfirann^ besitzt kein eigenes Recht, nur ^a8t&nd|g|^jteh. Becht des Organtrfigers auf Organstellung. Indivi- dualrecht und Organkompetenz.

BiebBehntes Kapitel. Reprasentation und reprasen-

tative Organe 552—579

1. Der Repr&sentationsgedanke ein rein juristischer. . . 552 558

2. Vorgeschicbte der modernen Vorstellungen. Hellas und Rom. Repr&sentativer Charakter der Magistratur, des Princeps, des Senats in Rom. Repr&sentationsgedanke im Mittelalter. Gebundene Stellvertretung. Entwicklung des eng- lischen Parlaments zum Yertreter des gesamten Volkes. Historischer Prozefs in Frankreich. Siey^s- Rousseau. Die Vereinigten Staaten. Ihre Einwirkung auf Frankreich. . . . 558—563

8. Unkiarheiten in der Literatur. Deren Kritik .... 563 568

4. LOsung des Problems. Volk und Volksvertretung als juristiscbe Einheit. Volksvertretungen als unmittelbare sekun- dare Organe. Rechtliches Organyerh&ltnis zwischen dem Volk und seinen Reprfisentanten. Verschi^enartige Organisation des Volkea^a^s primfiren Org§xififi,^\Integralemeuerung und

Auf 15sungsrecht:. in dieser (Beleucbtung 568 575

5. Alte Vorstellung desTiRjffffVchen als Delegatars. Natur- rechtliche Anschauung RouBseaus. Demokratisch republi- kanische Staatsh&upter als unmittelbare sekundftre Staats- organe. Monarchen als primare Staatsorgane. Organstellung der Richter. Charakter neuerer staatlicher Verwaltungs- bebOrden 575—578

6. Offentlich - rechtliche Verb&nde und ihre reprftsen- tativen Organe 578—579

Achtsehntea Kapitel. Die Fanktionen

des Btaatea 580—609

I. Geschichte der Funktionenlehre 580—591

Einwirkung der konkreten staatlichen Organisation auf die Funktionenlehre. Aristoteles, Bodin, Hobbes, Enftw dorfr Einteilung nach den Hoheitsrechten def Landes- herrn. ^!Nach dem Behbrdensystem. Hopfner , iScWSzer, Gdimer, Leist. Versuche, Justiz und Verwaltung zu scheiden 580—585

Bedeutsamste Unterscheidung der Staatsfunktionen durch den Gegensatz pers5nlicher Staatselemente ent- standen. Marsilius von Padua. Monarchomachen. Hobbcs, Locke 585-587

Montesquieu 587—590

InhaltBverzeichDis.

XXV

Seite Bonssean, Clermont-Tonndre, BeDJ. Constant Deutsche

590—691

n^£inteilnng der Staatsfunktionen 591— -609

(glicbkeit mannigfaltiger Einteilungen, von denen nur wenige wertyolL Zerf&llung -der Staatst&tigkeit in Yer- waltnngggebiete keine wissenschafUiche Einteilung . . . 591 592

1. Montesqnieus Einflufs auf die deutsche llieorie. Materielle und formelle Funktionen. Materielle Fnnktionen: Gesetzgebung, Recbtsprechung, Ver- waltung. Aufserordentlicbe Staatst&tigkeiten. Ver- b&ltnis der Recbtsstaatstbeorie von Mobl, Stabl und Gneist zur antiken. Formelle Funktionen: formelle Gesetzgebung, fomelle Ve^waltung, Justiz. Unm9g- lichkeit reinlicbei^afteilun^ in der Praxis 592—601

2. Freie und gebundeTl?9lSatstatigkeit. Lockes Pr&ro- gative neben der Exekutive. FranzGsiscbe Theorie. Materielle Verwaltung aus Regierung und Vollziebung bestebend. Freie Tatigkeit des Ricbters. Zust&ndig- keiten der unmittelbaren Organe in Form von Macbt- befugnissen definiert. Gebundene T&tigkeit in Recbts- setzuDg, Vollziebung, Recbtsprecbung. Vollziebung

des. StaaitBwHl^ns durcb die^hm-^i^erworfenen. . . 601 606 8. Obrigkeitlicn^ und sozialevf&tigkeit. G^biete sozialer

Tatigkeit ^ .". . 606—609

Neonaehntes Kapitel. Die Qliederung

des Staatea 610—644

L Die Bedeutung des Problems 610—618

Die^tjpiscben Staatsvorstellungen dem Einbeitsstaate entlebnt^ Antiker Idealtypus. Sein Einflufs auf mittel- "^altoriicbe Anscbauungen. Kampf mit dem Absolutismus als Ur8prung:^*4ec JLebre von der Staatsgliederung. Zen- tralisation und Dezentralisation. Selbstverwaltung und ihre verscbiedenen Bedeutungen. Gegensatz engliscber and kontinentaler Form der Selbstverwaltung und ibre gegenseitige yDurcbdringung. Administrative Dezentrali- sation. DezentiMsatfon durcb Selbstverwaltung.

II. Die Arten staatlicber Gliederung 618 644

1. Administrative Dezentralisation 618—622

Provinzialsjstem. Zentralsjstem. Dezentralisation . durcb Mittel- und Lokalbeb5rden.

2. Dezentralisation durcb Selbstverwaltung 622 632

Gemeinsames negatives Merkmal aller Selbstver- waltung. Selbstverwaltung auf Grjuid -Jirpn Recbt und auf Grand von Pflicbt. Voi/ Einzelnen ,"*• von Verbftnden. Engliscbe Staatsverwaltaiig-4ttrcb Ehren-

XXyi Inhaltsverzeichnis.

S6it»

amt. Verschiedene Modifikationen. Gemischte Staata- behdrden. Aktive und paasive 5ffeiitlich-reoIitliche Verb&nde. Tjpus dee letzteren in England. TjpuB des ersteren die Gemeinde der kontinentalen Staaten. AnBpruch auf Selbstverwaltang in England and auf dem Kontinente. Gemeinde als Typos des zur Selbst- verwaltung berechtigten Verbandes. Ihr Imperinm derivativer Art. Selbst&ndiger und aufgetragener Wirkungskreis der Gemeinde. Resume.

3. Dezentralisation darch Lftnder 632—644

Vorhandene staatsrechtlicbe Schulbegriffe nicht ausreichend zur Erfassung aller existierenden Staats- gebilde. Oberblick uber die staatlichen Gebilde mit unvollkommener Einheit 682 634-

1. Gebiet und Yolk staatsrechtlicb keine Einheit. Scbwebezust&nde vpn kurzerer und Iftngerer Dauer. Bosnien-Herzegowina. Grunds&tzliche Trennung v5lkerrechtlichen Erwerbs vom Staatsgebiet. Die deutscben Scbutzgebiete 684—637

2. L&nder mit besonderen Gesetzgebungsorganen. ^ Kanada, Kapland, anstraliscbe Kolonien, dster-

reicbische L&nder, Elsafs-Lothringen t . 637 640

8. Eroatien und Finnland. Zusammenfallen ibrer h5chsten Organ e mit den en der ubergeordneten Staaten. Daber selbst keine Staaten 640 641

4. Nebenland, Land als integrierendes Staatsglied . 641 643

5. Unorganisierte und organisierte Lftnder. Politiscbe Bedeutung der Dez entralisation durch Lftnder. . 648 644

ZwansigflteB Kapitel. Die Staatsformen . . 644—718

L Einteilung der Staatsformen 644 658

Alter des Problems. M5glichkeit zablreicber Ein- teilungen. Geringer Wert der meisten Kategorien. Die Staatsgewalt als eigentumlicbstes Staatselement. Kon- stante formaie Willensverhftltnisse. Die Art der Willens- bildung als recbtliches Unterscbeidungsprinzip. Physi- scher und juristiscber Wille. Antike Staatslehre und Macbiavelli. Monarcbie. Republik.

IL Die Monarcbie 658-^93

1. Das Wesen der Monarcbie 653—670

Monarcbie als der von einem pbysiscben Willen gelenkte Staat Die bistoriscb wecbselnde Stellung des Monarcben. Der Monarch als uber- und aufser-

halb und als innerhalb des Staates stehend 658 654

a. Der Monarch als GU>tt oder als Gottes Stellver- treter. Die patriarcbaliscbe Monarchic als be- sondere Art dieses Typns 654 655

Inhaltsverzeichnis. _

B«ito

b. Der MoDarch als Eigentiimer des Staates .... 655 656

c. Der Monarch als Staatsglied und Staatsorgan . . 656—670

In der antiken Staatslehre, im Mittel alter, in der absolntifltischen neueren Staatslehre. Der Furst als VolkBrepr&sentant Hobbee, Lnd wig XIV., Friedrich der Groffle, Leopold II. Die nenere Au£fo88ung des Monarchen als Staatsorgan. Ver* altete Fonnel vom Monarchen als begriffsnotwen- digen Inhaber^der gesamten Staatsgewalt. Mon- arch als Ausgangspunkt der staatlichen Funktionen. Anderung der Verfassung nur mit Zostimmung dee Monarchen. Monarchic mit einer Mehrheit monarchischer Personen.

2. Die Arten der Monarchic 670—60$

Rechtliche Unterschiede als Einteiliuigsprinzip. Lebenslanglichkeit, Unverantwortlichkeit, Kontinuit&t der Monarch enstellung keine Einteilungsprinzipien . 670 674

a. Wahlmonarchie and Erbmonarchie 674—677

Ober Erblichkeit der Krone. Erbnuumchie durch Erbverbraderung)^ Adoption^ Ernennun^*

b. Unbeschrankte und besc^r&nkte Monarehie . . . 677 6d$

In der absoluten Monarchic nur der Monarch unmitteibares Staatsorgao. Garantien gegen will- kurliche Yerwaltung. Einhaltuog der verfassungs- m&fsigen Schranken allein durch den rechtlich gestimmten Willen des Monarchen bedingt. Pro- bleme der Beschr&nkung der Gewalt im Altertum 677 67^

Ihre Fassung in der mittleren und neueren Zeit. Dauemde rechtliche Beschr&nkung des Monarchen aus dem mittelalterlicben Dualismus hervorgegangen. St&ndische Monarchic. Becht von Ffirst und Stftnden erscheint gleichm&fsig ur- sprunglich. Modifikationen dieses grunds&tzlichen Verh&ltnisses. Oberwindung des st&ndischen Dualismus durch den modemen Staat: auf dem Kontinente durch die absolute Monarch! e, in Eng- land durch die konstitutionelie. Wandlung der englischen Reichsst&nde in Staatsorgane. Ge- Bchichtliche Abfolge der st&ndischen, konstitutio- nellen und parlamentarischen Monarchic. Letztere nicht jnristisch zu erfassen, cine politische Spezies der Monarchic 679-687 v

Rezeption des konstitutionellen Systems in der kontinentalen Monarchic mit Ausnahme Rufs- lands. Dualismus der unmittelbaren Organe des Monarchen and des Parlaments. Drei politische Mdglichkeiten.: Vorherrschaft der Monarchic, Vor-

XXyTTT Inhaltsverzeichnie.

Seit«

herrschaft des Parlaments, Gleicbgewicht beider. Verschiedene Basis fur die parlamentarische Mon archie in England and auf dem Kontinente. Rechtliche Stellung der Kammem daher auch verschieden 687—693 V

in. Die Eepublik 693—718

1. Das Wesen der Republik 693—696

£nt8tebnng der fiepublik aus dem bewufsten Gkgensatz zur Monarchie. Republik als Nicht- monarchie. Juristiscb nur quantitative Unterschiede zwischen den verscbiedenen Arten der Republik. Mannigfaltigkeit der Erscheinungsformen der Re- publik. Das Deutsche Reich. Cberg&nge zwischen Monarchie und Republik. Theokratischer und patri- monialer Typus der Republik.

2. Die Arten der Republik 696—718 v'

1. Nach der Zahl der unmittelbaren Organe. Re« publiken mit einem einzigen unmittelbaren pri-

m&ren Organ und mit einer Mehrheit solcher . . 696—697

2. Nach der Art der unmittelbaren Organe 697— 709v/

». Republiken mit korporatiyem Herrscher . . . 697—698

b. Oligokratische Republiken 698

0. Klassenherrschaften oder aristokratische Re- publiken 698-700

Dercn Abh&ngigkeit von der sozialen Schich- tung des Volkes. tJbergftnge zur demokratischen Republik.

d. Die demokratische Kepublik 700—718

Ihr Charakter. Zahlreiche Unterschiede in der Zusammensetzung des herrschenden Demos moglich. Sie ist von den sozialen Verh&lt- nissen unabhftngiger als die aristokratische Republik 700—702

A. Die antike Demokratie 702—703

B. Die modeme Demokratie 703—718

Moderne demokratische Ideen Wirkungen all- gemeiner geistiger Machte. Ihr Zusammenhang

mit dem Naturrecht 703—707

a. n, Demokratische Republiken mit beratender

und beschliefsender Volksgemeinde .... 707 708 i. Rein reprftsentative demokratische Repu- bliken 708-710

y. ReprHsentative demokratische Republiken

mitunmittelbar-demokratischenlnstitutionen 710 711

Das Referendum und seine Arten. Re- publiken mit einheitlicher und dualistisch (^estalteter Legislatur 712—714 J

Inhaltoverzeichnis.

Seito

b. £inteilang nach der Art der Bestellung und Orgaoiaation der Regiemng. Bestellung : Wahl der obersten Regiemngsorgane durch das Yolk unmittelbar oder durch yermittlaug der Volks- vertretung. Vorwiegend politische Bedeutung dieser Einteilnngsart. Organisation: KollegialoB oder individuelles Staatshaapt. Die Pr&sident- schaftsrepublik. Ihre verschiedenen Nuancen: Konstitutioneller , parlamentarischer Prftsident, der Legislative untergeordneter Chef der Exckutive. Trotz Entstehnng der Pr&sident- schaft aus der Idee des Rbnigtams ist der Prftsident niemals h5chstes Organ 714 718

BinandBwanBigfltes KaplteL Die Btaaten-

▼erbindungen 719 767

L Einleitende £r5rterangen 719—725

1. Das Problem der Staatenverbindungen von antiker Staatswissenschaft kaum gestreift. Aach heute noch Unklarheit auf diesem Gebiete 719 720

2. Staatensjsteme sind Yerbindungen sozialer, nicht rechtlicber Art. Rinzelvertrftge und Yerwaltungs- vereine 720-723

3. Staatenverbindungen im engeren Sinne als dauemde rechtliche Yereinigungen politischer Natur. Unter-

schied von AUianzen 723 724

4. Organisierte und nichtorganisierte, v5lkerrechtliche und staatsrechtliche Yerbindungen. Untunlichkeit der strikten Durchfuhrung dieser Einteiiung 724—725

II. Die Arten der Staatenverbindungen (im engeren

Sinne) 725—767

A^ Scheinbare Staatenverbindungen 725 726

B. Staatenverbindungen im Rechtssinne 726—767

1. Y^lkerrechtlich begrundete Abhangigkeitsverh&lt-

nisse 72fr-730

Protektorate und andere Yerbindungsformen. Sie sind nicht organisiert.

2. Der Oberstaat mit Unterstaaten (Staatenstaat) . . 730—782

£r ist eine staatsrechtliche Staatenverbindung. Sein Typus ist uralt Kein notwendiger Zu- sammenhang zwischen dem politischen Leben des Ober. und Unterstaats. Der Staatenstaat geh5rt uberwiegend zu den nichtorganisierten Yerbin- dungen. Mannigfaltige historische Ursachen seiner Entstehung. Er gehdrt fur das Abendland der Yergangenheit an.

InhaltsyerzeichniB.

3. Die monarchiscben Unionen: Personal- and Real- union 782—742

In der Personalunion die Gemeinsamkeit der phjsischen Person des Monarchen rechtlich zu- f&Uig, in der Realunion rechtlich gewoUt .... 782 788

Personalunion rechtlich uninteressant, aber be- deutsam fur die Politik. Rrieg zwischen persdn- lich unierten Staaten nicht m5glich, wohl aber vSlkerrechtlicher Zwang nichtkriegerischer Art . 738 785

Realunion ist eine organisierte Verbindong. Die Mitglieder einer Realunion im Rechtosinne v511ig unabh&ngig yoneinander. Die Realunion ist eine v5lkerrechtliche Yerbindung mit staatsrechtlichen Wirkungen 785—740

Eine neue Begrundung von Realunionen un- wahrscheinlich. Ihre Wertlosigkeit fur die deutschen Staaten. Gewisse Schwebezustande nicht als Real- oder Persona^unionen zu betrachten. Im Wesen der Realunion liegt l&ngere Dauer 740 ^742

4. Der Staatenbund 748—749

Durch die Merkmale der Dauer und AUseitig- keit und durch seine standigen Organe erhebt er sich iiber Defensivallianzen. Die Vereinsgewalt ist keine Staatsgewalt, kann kein Imperium, nur y5lkerrechtlichen Zwang ausuben. Staatenbund als y5lkerrechtliche Gemeinschaft zur gesamten Hand. Die Staatsgewalt wird nur uber die Staaten geubt 743—746

Unzul&ssigkeit des Heranziehens antiker und mittelalterlicher Staatenbfinde zur Gewinnung des Tjpus. Feststehendes Merkmal : Souyeranet&t der fiundesglieder. Der Staatenbund als h5chst un- befriedigende Form dauemder Organisation . . . 746—749

^. Der Bundesstaat 749—765

£r ist souveran. Hervorgeben seiner Staats- gewalt aus den Gliedstaaten. £r ist eine staats- rechtliche Staatenverbindung. Gliedstaaten als Organe der Bundesgewalt. Staatlicher Charakter der Gliedstaaten nach z wei Richtungen : als bundes- gewaltfreie Gemeinwesen und als Trager yon 5ffentlich-rechtlichen Anspruchen an den Bundes- staat. Grundlage des Bundesstaats yerfassungs- m&fsige, nicht yertragsm&fsige Ordnung. Yoran- gehende Grundungsvorg&nge aber yon h5chster

praktischer Bedeutung 749 769

Zwei Moglichkeiten fiir das sp&tere Eintreten yon Gliedstaaten. Die Rechtsstellung der Glied-

InhaltsveneichniB. XICXT

8«Ito staaten ist gleich der der Individnen nach vier Bichtungen zu betrachten. Rechte der Bundes- gewalt. Eeine Grenie f&r die Ausdehnang seiner

Kompetenz g^genftber den Giiedstaaten 759—765

Der Bondeaetaat ais einiig gesnnde and nor- male Form der Staatenverbindungen politischer Art 765—767

ZweiondBwanoigBtes BUtpitel. Die Qarantien

dea offentliohen Beohtea 768-775

L Soziale Qarantien 769

n. PoLitische Qarantien 769—771

IIL Bechtliche Grarantien 771

1. AdminiBtratiye, finanzielle and parlamentarische Kon- troUen 772

2. Individaelle Verantwortlichkeit der Trftger staatlicher Organsteliang gegenuber dem Staate 772 ^773

8.' Bechtsprechung als staatliche Fanktion zam Schatze

des gesamten Bechtes 778 ^774

4. Bechtsmittel der Snbjizierten zar Verfolgang ihrer in-

dividuellen Bechte. Schlafa 774—775

Register 776—797

Berichtigungen.

Seite 81 Zeile 2 von unten lies: Spann statt Spaun. 78 5 oben Geistes wise enschaf ten statt

Staatswissenschaften. unten Lassalle statt Lasallo. Josia statt Josua. die Geschichte, nicht das Recht

statt die Geschichte nicht das Recht. Sozialwiss. statt Soziallwiss. De cive VI, 15 statt De cive VI, 14. n vom 13. Dez. 1872 statt 1878.

94

n 6

195

» 20

266

» 11

402

» 16

468

, 12

624

. 4

ERSTES BUCH.

EINLEITENDB UNTERSUCHUNaEN.

Jellinek, Das Recht dee modemen Staates. I. 2. Aufl.

Erstes Kapitel.

Die Anfgabe der Staatslehre.

1. Die wissenschaftlicbe Stellnn^ der Staatslehre.

Der Mensch ist seiner psjchischen Seite nach in zweifacher Weise Gegenstand der WisEenschaft : entweder ale Individuum oder als geselliges Wesen. Die Disziplinen der Geisteswissen- schaft^), welche die Aufgabe haben, die £r9cheinnngen des mensclilichen Gemeinlebens allseitig zu erforschen, bilden in ihrer Gesarotheit die Gesellschafts- oder Sozialmssenschaften ').

Die Erscheinungen des menschlichen Gesellschaftslebens zer- fallen wiederam in zwei Klassen , nftmlich in solche, denen ein einbeitlicher^ sie leitender Wille wesentlicb ist, und in solcbe, die obne eine aus ihnen hervorgehcnde Willensorganisation e^iistieren oder docb existieren kdnnen. Die ersteren besitzen notwendigerweise eine planmKfsige, von einem bewufsten, aaf sie gericbteten Willen ausgebende Ordnung im Gegeusatz zu den letzteren, deren Ordnung auf anderen KrUften rubt.

') An Stelle des Qberlieferten Gegensatzes von Natur- und Geistes- wissenscbaft wird jctzt mit schwerwiegendcn Griindcn der anders- geartete von Natur- und Kulturwissenschaft zu setzen gesucht, vgl. & i c k e r t , Kuiturwissenschaft und Naturwissenschaft , 1898 , Die Grenzen der naturwissenschaftlichen Begriffsbildung, 1902, was bereits von vielen Seiten Nachfolge gefundcn hat. Indes hat cs unser Gegen- stand mit Erscheinungen zu tun, die auch nach jener Einteilung zu Grenzgebieten gehdren, deren ganzliche Einordnung unter eines der beiden Wissensgebiete nicht gelingt. Darum, und um die bereits be> stehende terminologische Verwirrung nicht noch mehr zu stcigern, soil hier an den herkommlichen Bezeichnungen festgehalten werden.

*) Tiber Umfang und Einteilung der Gesellschaftswissenschaften bandelt zuletzt jyeorg v. Mayr, B£g£i5Lj?Pi' Gliederung der Staats-

wissenschaften in den P^estgaben fur S c hji f f I .^ ^ . 190 ^ 5^ '^»2o IP. , . . . - - - ^Y

4 Erstes Buch. Einleitende Untersuchangen.

In der Wirklichkeit der Dinge lassen sich zwar die beiden Arten sozialer Ordnung niciit streng isolieren, da in der nn- gebrocheuen Einheit alles gesellschafYlichen Lebens die eine obne die andere nicbt zu bestehen vermag. So iRfst sich z. B. ein entwickelter Staat obne Volkswirtscbaft nicht auffinden, ebenso- wenig jedoch eine Volkswirtscbaft obne Staat. Aber trotzdem ist begrifflicbe Trennung beider Ordnungen n)($glicb und notwendig. Denn , wie spHter nftber ausgeflibrt werden wird , ist alle Er- kenntnis mitbedingt durch die Fttbigkeit, das zu erkennende Objekt zn isolieren, es beranszubeben aus den UmbUllungen, die es umgeben, nnd den Verbindungen , in denen es sein Dasein fQbrt.

Zu den sozialen Erscbeinungen, die der planmftTsigeu Leitung durcb einbeitlichen Willen entbebren, zSlblen die Spracbe, die Sitte, die wissenscbaftliche und kUnstleriscbe TUtigkeit, die Volks- wirtscbaft. Durch einen einbeitlichen Willen zusammengehaltene und geleitete soziale Ordnungen sind die zahlreicben Verbftnde, die das wirtschaftliche , geistige , ethische , religiose Gemeinleben hervorruft, so Familie, wirtschaftliche Unternehmungen , Vereine aller Art, Kirchen. Die wichtigste, auf menschlicber Willens- organisation beruhende soziale Erscbeinung aber ist der Staat, desseu Wesen an dieser Stelle als gegeben vorausgesetzt werden mufs. Jede EWirterung des Wesens einer wissenschaftlichen Disziplin raufs Resultate an den Anfang stellen, die erst spftter sicher begrtlndet werden kSnnen.

Da alle anderen organisierten Ordnungen obne den Staat nicht zu bestehen vermCgen , da ferner der Staat verinOge des Urafanges seiner Tiltigkeit und des Einflusses, den er auf die Menscben Ubt, das gauze soziale Leben bertthrt und bestimmt, so hat man bis in die Gegenwart hftufig die Gesamtheit der Gesellschaftswissenschaften, mit Ausnahme der entweder in diesem Zusammenhange ignorierten oder gar der Naturwissenschaft zu- gewieseuen Sprachwissenschaft ^) , als Staatswissenschaften be- zeichnct, eine Terminologie , die als unzutreffend erkannt wird., wenn man erwHgt, dafs das vom Staate im sozialen Leben Be-

*) Letztere Ansicht vertreten z. B. Schleicher, Die Darwinsche Theorie und die Sprachwissenschaft, 1873, S. 7, Max Muller, Die Wissenschaft der Sprache, tibersctzt von Fick und Wischmann, I, 1892, S. 21 ff. Die richtif?e, nunmehr herrschende Anschauung entwickelt Paul, Grundrifs der gennanischen Philologie, 2. Aufl., I, 1896, S. 160.

Erstes Kapitel. Die Aufgabe der Staatslehre. 5

wirkte nnd Ausgestaltete von ihm als der Ursache wohl zu unter- Hcbeiden ist. Die StaatswisBenschaft hat es vielmehr ausschliefs- lich mit der Erforschung des Staates und der von ihm als seine Glieder in Beinen Ban aufgenommenen oder zugelassenen Ver- b&nde zn tan. Mit seinen Beziehnngen zu anderen sozialen 6e- bieten hingegen hat sie nur insoweit zu Bchaffen, als die bewufste TUtigkeit des Staates auf diese Gebiete, sei es regulierend, sei es f^rdemd, gerichtet ist. So geh^irt z. B. das Unterrichtswesen nar insoweit zur Staatswissenschaft , als es vom Staate geleitet oder beeinflnfst wird, wtlhrend die technische Seite dieser dffent- lichen Tiltigkeit von anderen Disziplinen, z. B. der P&dagogik^ behandelt wird, die den, Gesellschaftswissenschallen der zweiten Ordnung ansschliefslich zuzuweisen sind. Gibt es nun auch kaum ein Gebiet menschlicher Gemeint&tigkeit, das nicht in Be- ziehnngen zum Staate stttnde, so folgt daraus zwar, dafs die Staatswissenschaften wesentliche Beziehungen zu den anderen Sozialwissenschaften habeu, nicht aber, dafs diese gttnzlich in jenen aufgehen sollen.

GemiLfs der Mannigfaltigkeit^ die der Staat darbietet, gibt es eine Vielheit von Gesichtspunkten , unter denen er betrachtet werden kaun. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit der Speziali- siemng der Staatswissenschaft. Sie ist erst durch die fort- schreitende Erkenntnis allmilhlich zum Bewulfstsein gekommen. Wie die meisten Wissensgebiete, die spftter in eine Vielheit von Disziplinen zerf^Ut worden sind , hat sie ihre Geschichte alb einheitliche Lehre begonnen. In dieser Form tritt sie uns bei den Hellenen entgegen. Ihuen ist die Politik die Kenntnis der Tzohz und des auf diese gerichteten Handelns ihrer Glieder nach alien Seiten, so dafs dieser Ausdruck nicht mit dem modernen gleichlautenden , wiewohl von dem aniiken abstammenden ^ ver- wechselt werden darf. In dieser Lehre ist aber das Bewufstseiii der mannigfaltigeu zu unterscheidenden Beziehungen und Seiteu des Staates entweder nicht oder doch nicht in vOllig klarer Weise enthalten. Unter dem bestimmenden Einflufs antiker VorsteHungen bat sich nun vielfach bis in die Gegenwart herab die Gleich- setzang von Staatswissenschaft und Politik terminologisch be- hauptet, namentlich bei den romanischen V^lkern und den Eng- landern, bei denen science politique*), scienza politica, political

') Nenerer Zeit allerdings auch im Plural gebraucht. So sprechen die Franzosen von sciences morales et p 0 1 i t i q u e s.

5 Erates Buch. Einleitendc UntersuchungeD.

science oder politics usw. den ganzen Umfang der Staatswisseu- schaft bezeichnet und eine Spezialisierung innerhalb dieser so bezeichneten Disziplin entweder gar nicht versucbt oder in ganz UDgenflgender Weise vorgenoramen wird.

Unter die staatswissenschaftlicben Disziplinen ^) in dem von uns angegebenen Sinne^ fUllt auch die gesamte Recbtswissenschaft, da Becht stets nur ein Produkt organisierter menschlicber Ver- bttnde sein kann. Die antike Staatswissenscbaft bat deun aucb Recbts- und Staatslebre nicbt scbarf gescbieden, zumal f\ir sie das gesamte menscblicbe Gcmeindasein staatlicber Art ist. Fort- scbreitende Spezialisierung jedocb, die der Ausbildnng der Recbts- wissenscbaft durcb die Romer ibren Ursprung verdankt, bat diese zu einem selbstilndigen Wissensgebiete erboben. So siud denn die Staatswissenscbaf ten im weiteren Sinne, die aucb die gauze Rechtswiasenscbaft unter sicb befasscn, von den Staats- wissenscbaft en im engeren Sinne zn unterscbeiden. Im folgenden sollen die Staatswissenscbaften nur in dieser engeren Bedeutung genommen werden.

Da aber Staats- und Recbtswissenscbaft in engem syste- matiscbem Zusaromenbang miteinander steben ^ so gibt es Dis- ziplinen, die beiden zugerecbnet werden mtissen, nUmlicb jene, die sicb mit den recbtlicben Eigenscbaften und VerhJtltnissen des Staates bescbuftigen , also aus dera Umkreis der Lebren des offentlicben Rechtes die des Staats- , Verwaltungs- und V5lker- recbts. Sic sind sowobl Wissenscbaften vom Staate als vom Recbte. Die Bedeutung dieses inneren Zusammenbangs voii Recbts- und Staatswissenscbaft wird an anderer Stelle nocb cin- gebender zu erortern sein.

Die Wissenscbaften zerfallen in beschreibende oder erzUblende (deskriptive), erklarende (theoretische) und angewandte (prak- tiscbe). Die crsten wollen die Erscbeinungen feststellen uud ordnen, die zwoiten Regeln ibres Zusammenbanges aufweisen, die dritten ibre VorwenJbarkeit ftlr praktiscbe Zwecke lebren.

FAne scbarfe Grenzlinjo zwiscben bescbreibender und er-^ klftrender Wissenscbaft lafst sicb nicht leicbt zieben, naraentlicb nicbt auf dem Bodeu der Sozialwissenscbaften. Selbst ftir die

^) Auch im Deutschcn kann man Staatswissenscbaft im Singular und im Plural, im letzteren die cinzelnen Disziplinen, im erstcren deren Gesamtheit bezeichnend gebrauchen.

Erstes Kapitel. Die Aufgabe der Staatslehre. 7

Natprvissenfichaft ist behauptet worden, dafs Etklttrnng einer NaturenBclieinung nichts anderes als ihre vollKommenb Beschreibiang sei ^). Zum Ui'tert^niede von einem grofsen Teil der Natur* vorgftnge aber sind die sozialen Erscbemungen in der Regel nicbt konktanter Art, vielmebr sind sie dynamiscber Natur, sie Kndern fortwUbrend ibren Cbarakter, ibre IntensitUt, ibren Ver- laiif , . obne dafs es md^licb w^lre j feste , jedem Zweifel entli-Uckte Enl^ickjpngs- und RUckoilQuiigslgesetze ftlr sie nacbznweisen, wie es ^ie iVatnrwissenscbaft fftr die Lebensvbije&nge zu tun in der

. Lage ist. I Das Objekt jener Wissens^baften ist daber in stetem Wandel begriffen. Eine speknlative Auscbauung, die, wenn aucb nur , za;r bjpotbetiscben Vollendnng unseres Wissens, niemals gUnzJicb enl^bebrt werden kann, wird in solcbem Wandel eine aa6teigende> Entwicklung bebaupten kOnnen. Mit den Mitteln empiriscber Forsctfung bingegen wird in vielen Fallen nur Ande- rang, nicbt Entwicklnng nacazuweisen sein. Dafs der mittel alter* licbe Staat, vevglicb^n mit dem antiken, eine bObere Entiwicklungs- stnfe sei, wii oft bebauptet wird, wird scbwerlicb mit Erfolg

^acbjgelwiesen werden kOnnen^). Aber er war etwas wesenuicb anderes als der antike Staat, wies Erscbeimingen auf, die nacb keiner Ricb^ns^ bin in diesem bereits im Keime vorbanden waren. Die Spaltiing des Gemeinwesens durcb den im Mittelalter nie ganz zur Einbeit vers5bnt/en Gegen^atz von FUrst und Volk,

') Vgl. die vielbemfenen Satze von G. Kirchhoff, Vorlesungen fiber mathematische Physik. Mechanik, 1874, S. 1. Vollkommene Be- schreibung eines Einzeldinges oder einmaligen Geschebens setzt die Kenntnis des ganzen Weltzusammen hangs voraus, bleibt daher stets ein anerrelcbbares Ideal. Auch nur ein einziges Exemplar einer Tiergattuog erscbopfend bescbreiben, erforderte die Einsicht in die Gesetze der Zeagnng, des Wacbstums, des Blutumlaafs und samtlicher mechanischer und pbysiscber Gesetze, welcbe jene verwickelten Erscheinungen be- herrscben. Anderseits ist es unmoglich, obne genauc Kenntnis des Individuellen zur Erkenntnis d^s allgemein Gesetzm&fsigen zu gelangen. Damm bedeuten die Einteilungen der Wissenschaften in beschrcibende und erklarende sowie die neueren in idiogra])hi3che und nomothetiscbe, in Koltur- und Naturwissenscbaft , nm mit Windelband zu redeii, ,,GrenzbegriflPe , zwiscben denen die lebendige Arbeit der einzehien Disziplinen mit zahlreichen feinsten Abstufungen sich in der Mitte be- wegt" (Die Philosopbie im Beginn des 20. Jahrhunderts, I, S. 179).

■) Vgl. die treffenden Ausfiihrungen von Ed. Meyer, Die wirt- scbaftlicbe Entwicklnng des Altertums, 1895, S. 6, Die Sklaverei im Altertum, 1898, S. 5 ff.

8 Erstes Bach. Einleitende Untersuchangen.

die stttndische Reprftsentation , die Fordierang einer begrenzten

Sph&re des Staates, das alles waren PhttnoiDeoe, zu denen in den

Staaten der alten Zeit kein Anfsatz zu finden ist. Daher hat der

Staat selbst im Laufe der Zeiten sein Wesen in benstimmten

Pankten geHndert ;zuin UnterscKiede von den natUrlichen Dingen,

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die entweder ,unverftnderlich bleiben oder im rhjthmischen

Wechsel wiedei^ehren oder in erkennbaver, von festen Gesetzea

benSnfscKteh Weise einer auf- oder absteigenden Umbildung unter-f

liegen. Das Nilhere tlber diese flir die methodische Forschjang

auf sozialwissen^chafUichem 6e1)i4te grundlegende Erkenntnis

wird spHter ausgefUhrt werden, wie auch eine Darlegjung der

Schranl^en kaus'aler Erkenntnis in den Sozialwissenschaften ger

sonderter, eingehender Untersuchung bedarf. ' ; *

In den Sozialwissenschaften mllssen schon aus dem eben an- gegebenen Grunde Beschreibung und ErklHrung oft ineinander tlbergehen. Wer z. B. die wechselnde Babn beschreibt, die eine soziale Erscheinung im Laufe der Geschichte durcbmifst, anf der sie ihr inneres Wesen fortwahrend ftndert, der erklllrt zugleich den Zusammenhang ihrer einzelnen Phasen, wenn er nicht in ganz unwissenschaftlicher Weise am Aufseren haften bleiben will. Wenn daher ira folgenden die einzelnen Disziplinen der Staats- wissenschaften aufgeziihlt werden soUen, so ipt b^i aller dnrch das BedUrfnis der Orientierung gebotenen begrifflichen Scheidung doch ebenso zu betonen, dafs der in der Natur der Objekte be- grttndete Zusammenhang der verschiedenen wissenschaftlichen Positionen keine v6llige, mit scharfen Linien zu zeichnende Be- ^renzung des einzelnen Wissenszweiges duldet. i.v V '^

Die beschreibende Grundlage aller Sozialwissenschaften, also auch der Staatswissenschaften, ist die Geschichte, welche die sozialen Tatsachen in ihrem historischen Verlaufe fest- und dar- stellt sowie deren ftufsere und innere Verkntipfung nachweist *).

^) Die Geschichte stelit nicht blofs Tatsachen, sondern auch die ZusammenhaDge der Tatsachen dar. Von den theoretischen Wissen- schafteu unterscheidet sie sich aber dadurch, dafs sie stets konkrete Kausalreihen erforscht, niemals abstrakte Tjrpen und Gesetze. Unt^r- nimmt der Historiker solches, so uberschreitet er die Grenzen seines Gebietes und wird zum Geschichtsphilosophen oder Soziologen. Solch hoherer Geschichtsauffassung wird allerdings kein Historiker ganzlich entraten kdnnen, gibt cs doch keine Einzelwissenschaft, die ihren Ver- tretern Selbstgenugsamkeit bieten k5nnte.

Erstes Kapitel. Die Aafgabe der Staatslehre. 9

Vornehmlich ist es die politiBche Geschichte, die von der Staaten Werden, Schicksalen und Vergeben berichtet, die fUr die staatswisseuschaftlicbe Forscbung in Betracbt kommt. Aber aucb die Sozialgeschichte, die von den gesellschaftlicben Vor- gSngen bandelt, die nicbt unmittelbar politiscber Art sind, ist bei dem objektiven Zusaramenbang aller sozialen Erscheinnngen von grofser Bedeatung fUr die LOsung der tbeoretiscben Probleme der Staatswissenscbaften. ' '

An die Gescbicbte scbliefst sicb an die Staatenknnde und der auf die staatlichen Verbttltnisse sicb beziebende Tell der Statistik die politiscbe und Verwaltungsstatistik ^ jene die Bescbreibungen der Institutionen der verscbiedenen Staaten der Gegenwart und jUngsten Vergangenbeit lebrend, diese als „die ezakte Erforscbung derjenigen Seiten des Staats- und Gesellschaftslebens , die einer zablenm&fsigen Bebandlung zu- ganglicb sind" 1).

Die erklftrende Wissenscbaft vom Staate ist die tbeore- tiscbe Staatswissenscbaft oder Staatslebre, deren Aufgabe Er- kenntnis der Erscbeinung des Staates nacb alien Ricbtungen seines Daseins ist. Sie ist aucb bescbreibende Wissenscbaft^ in- sofern sie die Merkmale des Staates und seiner Erscbeinungs* formen feststellt. Aber diese Bescbreibung ist zugleich Erklftrung. Denn es bandelt sicb bei ibr urn ein nicbt der SinnenAvelt an- geh5riges, sondern erst durcb wissensc baftlicbe Forscbung fest- zustellendes und zum Bewufstsein zu briugendes Objekt, das eben nur dadurcb bescbrieben werden kann, dafs man es zu erkl&ren untemimmt. Oberdies bat die kausale ErklHrung auf diesem Gebiete viel engere Grenzen, als sie einer natnrwissenscbaftlicben Disziplin gesteckt sind, da sie, wie welter unten eingebend dar- gelegt werden wird, niemals die kausalen ZusaramenbUDge all- gemein gttltigen Gesetzen uuterzuordnen vermag.

2. Die Oliederung der Staatslehre.

Die tbeoretiscbe Staatswissenscbaft oder Staatslehre zerfkllt in die allgemeine und besondere Staatslehre^). Die all-

') Lexis im HandwSrterbuch der Staatswissenscbaften, 2.'Aufl. Art. Statistik VI, S. 1009.

*) Cber verscbiedene Definitionen der allgemeineii Staatslehre in der neuesten Literatur vgl. R e h m , Allgemeine Staatslehre, 1899, S. 1 ff. Der

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10 Erstes Buch. Einleitende Untersachungen.

gemeine Staatslehre sucht das Fundament der gesamten Staats- lehre zu legen^ indem sie die Erscheinung des Staates ttberhaiipt sowie die Gruudbestimmungen, die er darbietet, wissenschaftlicher Forschung unterzieht. Ihre Resultate werden nicht durch Unter- suchung einer staatlichen Einzelindividualitttt , sondern vielmehr der gesamten geschichtlich-sozialen Erseheinungsformen des Staates gewonnen.

Die allgeracine Staatslehre wird ergttnzt durcb die b e - sondere Staatslehre. FUr sie sind zwei MOglichkeiten der Forschungsweise gegeben. Entweder beschUftigt sich die besoudere Staatslehre mit einer Vergleichung der einzclnen Institutioneu der Staaten tlberhaupt oder einer bestimmten Staatengruppe oder noch enger einer bestimmten Staatengruppe innerhalb einer be- grenzten Epoche, um tjpische Bilder dieser Institutionen zu ge- winnen und zu erklftren, oder die besondere Staatslehre ist einfach Erkenntnis der Institutionen eines konkreten Staates, sei os in ihrer gesamten geschichtlichen Ausgestaltung, sei es in ihrer gegenwartigen Form. Die besondere Staatslehre ist daher ent- weder die Lehre von den besonderen Institutionen des Staates tlberhaupt oder Lehre von den Institutionen des besonderen Staates. Man kann die besondere Staatslehre in der ersten Be- deutung als s p e z i o 1 1 e Staatslehre , in der zweiten als i n d i - V i d u e 1 1 0 Staatslehre bezeichnen.

Voiles Verstandnis der Institutionen des Einzelstaates hat sowohl die allgemeine Staatslehre als die von den besonderen Institutionen des Staates, die spezielle Staatslehre, zur Voraus- setzung, da alles Einzelne von Grund aus nur aus dem all- gemeinen Zusammenhang begriffen werden kann , in den es hineingestellt ist. Individuelle Staatslehre kann daher erfolgreich nur bearbeitet werden auf dem Boden der Resultate jener beiden Gruuddisziplinen.

Die Staatslehre hat den Staat nach alien Seiten seines Wesens

neueste Versuch umfassender Entwicklung ihres Begriflfes bei G. v. Mayr a. a. 0. S. 319 ff. Eine eingehendc Kritik fremder Ansichten auf diesem Gebietc halte ich far wenig erspricfslich, einmal, weil diese seiten einer lichtbringoTiden systematischen Untersuchuug entspringen, sodann, weil ausfubrliche gedeihliche Kritik methodologischc Erorterungen voraus- aetzt, die an dieser Stclle vicl zu weit fuhren wurden. So mag denn hier die Pintwicklung des eigenen Standpunktes zugleich die Stelle der Prufung abwcichender Ansichten vertreten.

ErBtes Kapitel. Die Aufgabe der Staatolehre. H

zu erforschen. Sie hat zwei Hauptgebiete , entaprechend deD zwei Gesichtspunkten , unter denen der Staat betrachtet warden kann. Der Staat ist einmal gesellschaftliches Gebilde, sodaun rechtliche Institution. Dementspiecbend zerfUUt die Staatslehre in die soziale Staatslehre und in die Staatsrecbts- lehre. Die allgemeine Staatslehre insbesondere hat demnach zwei Abteilungen : die allgemeine Soziallehre des Staates und die allgemeine Staatsrechtslehre.

Die allgemeine Staatsrechtslehre , d. h. die Erkenutnis der rechtlichen Natur des Staates und der staatsrechtlichen Grund- begriffe, ist demnach nur ein Teil der allgemeinen Staatslehre.

Das Recht ist eine der wichtigsten Seiten des Staates; kein Stailt ist ohnc Recht mOglich, aber es ist ein schwerer Fehler, der bis auf den heutigen Tag httufig begangen wird, die Staats- lehre mit der Staatsrechtslehre zu identifizieren. Dieser Fehler rilhrt von dem historischen Ursprung der modemen Staatslehre her. Sie stammt nlimlich aus dem Naturrecht, das nach dem Rechtsgruude des Staates forschte'). Diesen Rechtsgrund setzte das Naturrecht nicht seiten dem historischen Entstehungsgrund gleich und betrachtete demgcmttfs den Staat ausschliefslich als ein rechtliches Gebilde. Daher ist eine Unterscheidung zwischen Staats- und Staatsrechtslehre in der naturrechtlichen Epoche sehr seiten zu finden. Nur die Politik als praktische Staatslehre wird da von der Staatsrechtslehre als selbstiindige Disziplin anerkannt. In der Literatur der Politik von Machiavell bis auf Montesquieu find en sich auch viele theoretische Untersuchungen , die heute dem nicht mit der Staatsrechtslehre zusammenfallenden Telle der Staatslehre zuzuweisen sind.

Wenn nun auch die Staatsrechtslehre inuerhalb der Staats- lehre ein abgegrenztes Gebiet darstellt, so ist sie dennoch nur ein Teil des Gesamtgebietes. Staatslehre und Staatsrechtslehre sind keine Gegenstttze. Wohl aber miifs man systematisch die soziale Staatslehre, die den Staat als gesellschaftliches Ge- bilde in der TotalitJft seines Wesens betrachtet, der Staats- rechtslehre als dem juristischen Teil der Staatslehre gegenUber- stellen. Solche Trennung und GegenUberstellung ist in dem Untenjchied der Methoden begriindet, die in beiden Gebieten herrschen. Eine Vermischung des Rechtlichen mit dem, was vor

') Vgl. unteii Kap. VII.

12 Erstes Buch. Einleitende Untersuchungen.

dem Rechte liegt^ soil daher in einer wissenschaftlichen Dar- stelluDg der Staatslehre nicht stattfinden. Wolil aber ist die Er- kenntnis des inneren Zusammenhanges beider die gesamte Staats- lehre darstellenden Disziplinen berufen, einem zwiefachen, folgen- schweren Irrtum vorzubeugea: dem Glauben^ dafs die einzige richtige Erklttrungsart des Staates die soziologische , historische, politiscbe^ kurz : die nicbt-jaristische sei^ und der entgegengesetzten Cberzeugung, dafs der Jurist allein dazu berufen sei, mit seinen Forscbungsmitteln alle Rtttsel zu lOsen , die mit den staatlichen PhUnomenen verknUpft sind ^).

Aber aucb fUr die erspriefslicbe Untersucbung der staatsrecbt- licben Probleme ist die Erkenntnis des Zusammenbanges von sozialer Staatslebre und Staatsrecbtslebre von der bocbsten Be- deutung. Eine umfassende Staatslebre ist die Grundlage aller tbeoretiscben Erkenntnis vom Staate. Alle Untersucbungen , die nicbt auf diesem umfassenden Fundament aufgefUbrt sind^ fflbren notwendig zu scbiefen und einseitigen Resultaten. Wenn daber aucb die Staatsrecbtslebre die recbtlicbe Seite des Staates isoliert, um zu deren grllndlicben Erkenntnis zu gelangen, so mufs sie docb von Prinzipien aiisgeben, die einer allseitigen Erkenntnis des Staates entsprungen sind. In den Systemen des Staatsrecbts ist es bis auf den beutigen Tag die Regel, allgemeine Lebreu vom Staate an die Spitze der Untersucbung zu stellen, die, nacb Art von Dogmen behauptet, uns nicbt verraten, woher sie kommen, die aber um so bedeutsamer sind, als aus ibnen die wicbtigsten ScblUsse gezogen werden. Bei dem iiberwiegend deduktiven Charakter dtn* juristiscben Untersucbungen sind in vielen Fttllen die Resultate durcb jene dogmatischen Satze bereits a priori fest- j^estellt. Alles Scbiefe, Einseitige, Widersprucbsvolle in den herrscbenden staatsrecbtlicben Anscbauungen ist nicbt zum ge-

') Von einer juristiscben Methode der Staatswissenschaft spricht Wundt, Logik, 2. Aufl., II«, 1895, S. 490 ff., ebenso neuestens Des- 2>iuires, La crise de la science politique et le probleme de la m^thoHe. Paris T002^t_ mit upgenugeud^r Ktinntms der^ Srellung^ er beutigen deutscben Staatsrecbtslebre zur Politik. Die Identifizierung von Staats- wissenschaft und Staatsrecht war einer der hervorragendsten Irrtumer vieler Naturrechtslehrer. Heute aber gibt es keinen Juristen, der die Gesamtheit der staatlichen Erscheinungen fur juristische hielte: min- destens der Gegensatz des Politischen zum Rechtlichen wird von jedem anerkannt.

Erstes Kapitel. Die Aufgabe der Staatslehre. Ig

ringsten Telle anf ihre unrichtige oder UDgenUgende FuDdieruug auf bestimmte Siltze der Staatslehre zurUckzafttbren.

3. Die Politik OBd ihr Verhiltnis znr Staatslehre.

Die angewandte oder praktische Staatswissenscbaft ist die Politik y d. h. die Lehre von der Erreichung bestimmter staatlicber Zweeke nnd daber die Betracbtung staatlicher £r- scheinuDgen unter bestimmten teleologiscben Gesicbtspnnkten, die zugleicb den kritiscben Mafsstab fOr die Beurteilang der staat- lichen Znstttnde nnd Verbftltnisse liefem ^). Entbttlt die Staats- lehre wesentlicb Erkenntnisnrteile, so hat die Politik Werturteile zum Inhalt. In diesem engsten Sinne, der allein der Politik wissenscbaftlicbe Selbstberecbtigung sicbern kann, ist sie erst in nenester Zeit in der deutscben Wissenscbaft aufgefafst worden, der die endgtlltige Scbeidung jener allumfassenden antiken Kategorie der Politik in soziale Staatslehre^ Staatsrecbts lehre nnd Politik zu danken ist. «

Da absolute Zweeke nur auf dem Wege metapbysiscber Spekulation aufgezeigt werden k5nnen, so ist eine empirische, in sich vollendete, mit allgemeiner Oberzeuguugskraft ausgestattete

') (jber die verschiedenen Definitionen der Politik vgl. v. Holtzen- dorff, Die Prinzipien der Politik, 2. AuH. 1879, S. 2 ff. Die neuesten Versuche, den Begriff der Politik auszupragen, bei Schaffle, Uber den wissenschaftlipliftn Rpg^jjT r^er Politik, Zcitschr. f. d. ge>s. Staats^ wissenscbaft, LIU, 1897, S. 579 if., van Calker, Politik als Wisseu- schaft, 1898, S. 7 f , Ricbard Schmidt, Allgemeipe Staatslehre^ I, 190 L S. 25ff., nnd v. Mayr, Festgabe S. 340 ff. Bei dem innereu Zusammen- hange alles staatlichen Lebens und seiner Erkenntnis wird eine scharfe Abgrenzung der Politik gegen die theorctische Staatswisscnschaft kaum voUstandig gelingen. Wer von den Zwecken einer staatlichen Institution handelt, mufs vorerst deren Sein und Betatigung erkeuuen. Namentlich die Lebre von dem staatlichen Leben wird daher ausdrucklich oder stillscbweigend der Potitik zugewiesen, wahreud sie docli ihr nur so weit zugehort, als sie dieses Leben im Hinblick auf die ihm gestellten Zweeke betrachtet. Die Scbeidung der beiden Positionen jedocb, von denen aus die lebendige Bewegung der staatlichen Erscheinungen be- trachtet werden kann der theoretischen und der teleologiscben ist an dem politischen Einzelproblem praktisch kaum reinlich durch- znfabren. Daher finden sich in der Kegel in jeder eingehenden poli- tischen Untersuchung Matericn, die der theoretischen Staatswissenschaft angehorcn. Hingegen ist es methodisch viel leichter, bei Darstellungen der tbeoretiscben Staatawissenschaft von der Politik abzusehen, dajene die Voraussetzung dieser, nicht aber umgekehrt, bilJet.

14 Erstes Bnch. Einleitende UntersuchuDgen.

politische Wissenschaft nicht m($glicfa. Vielmehr kttnnen nur relative politische Untersuchungen wissenschaftlichen Wert ge- winnen, d. b. solche, die Iiypothetisch einen beBtimmten Zweck als za erreicbend annebmen, dabei aber die M($glicbkeit anders- gearteter teleologiscber Beurteiluug zugeben inttssen. Desbalb erbalten in der Kegel politiscbe Untersacbungen einen partei- mftfsigen Cbarakter, zuraal jeue Bescbrttnkung auf empiriBche, relative Zwecke selten zu finden ist, so dafs ttberdies nocb der Gegensatz der metapbysiscben Zwecke zu dem der empiriscben binzutritt uud in der Gestaltung der Untersucbung und der Re- snltate zum Ausdrnck kommt. Scbon ein flilcbtiger Blick in die politiscbe Literatur Iqbrt, daTs der Unterscbied der Welt- anscbauangen , der Uberzeugungen von den letzten Zielen des menscblicben Gemeinlebens, oft unbewufst, den Gang eines sebr grofsen Teiles der politiscben Forscbungen bestimmt.

Die Politik als praktiscbe Wissenscbaft ist zugleicb eine Kunstlebre^) und darum wesentlicb der Zukunft zugewendet, wftbrend die Staatslehre als Lebre vom Seienden der Verganigen- beit und Gegenwart zugekebrt ist. Aber aucb auf Gegenwart und Vergangenbeit k($nnen sicb politiscbe Untersucbungen er- strecken, um aus ibnen Lebren ftlr die Zukunft zu zieben. Auf die Gegenwart gericbtet, nimmt die Politik den Cbarakter einer kritiscben Lebre an, der das Gegebene, gemessen an dem Mais- stab ibrer durcb teleologiscbe Betracbtung gewonnenen Resultate entweder ein zu Bewabrendes oder ein Umzubildendes ist. Aber aucb die Vergangenbeit kann im Hinblick auf bestimmte Zwecke kritiscb untersucbt werden. Ob Handlungen gescbichtlicber Per- sonen entweder deu ibnen vorgesetzten oder einen anderen wert- vollen Zweck erreicbt oder verfeblt baben, gebOrt aucb in das Gebiet politiscber Betracbtungsweise. Untersucbungen Uber die

') Wisscnschaftlicbe Politik und Staatskunst verhalten sich bu- einander wie jede Aufstellung allgemeiner Prinzipien zu der Knnde von ihrer Anwendung auf den Eiiizelfall. Staatskunst, die nicht blofs em- pirisch verfahrt, ist demnach Geataltung konkreter staatlioher Verhftlt- nisse gemafs anerkannter Prinzipien, aber unter Berucksichtigung der Eigenart der zu lOsenden Aufgabe und samtlicher streng iiidividualisiert zu betrachtendcn Umstande, unter dencn pie sich ereignen. Inwieweit solche Kunst auf allgemeine Kegeln zuruckgefuhrt werden kaun , um als Leitfaden fur staatsmannisches Handcln zu dienen, h&ngt roit der alten Frage zusammen, ob und in welchem Umfang ein geistiges und sittliches Kdnnen lehrbar sei.

Erstes Kapitel. Die Aufgabe der Staatslehre. 15

Wirkangen der perikleischen Deini>kratie auf die Fort- oder Rttckbilduog des athenischen Staatswesens oder der snllanischen Diktatnr anf den Untergang der r(5mi8chen Republik haben nicht minder den Charakter poMtischer Forschung wie ein Versuch, den Einflofs des allgemeinen Wahlrechts auf das kISnftige Leben des Deutscben Reiches za bestimmen. Darnm ist jede pragma- tiscbe gescbicbtlicbe Untersncbuug zugleich auch eine politiscbe ^). Der, wenn ancb oft nnansgesprocbene letzte Zweck solcber nach rUckwftrts gewendeten politiscben Betracbtung Hegt allerdings ancb in der Zakunft, denn nicbt nnr am ihrer selbst willen, sondem um Regeln ftir das Handeln in llhnlicben Fallen zu ge- wtnnen, wird sie nnternommen. Darum ist die Politik nicbt eine Lebre vom Seienden, sondern vom Sein-sollenden.

Ist nun aucb die Politik ibren Zielen and ibrer Metbode nacb von sozialer Staats- und Staatsrecbtalebre durcbaus zu trennen, so ist anderseits bei dem inneren Znsammenbang aller Gebiete einer Wissenscbaft die praktiscbe Disziplin von bober BedeutUDg fUr gedeiblicbe Bebandlung der tbeoretiscben. Sowobl die rnbende Staatsordnnng, welcbe die soziale Staatslebre, als ancb die Recbtsregeln jener Ordnnng, welcbe das Staatsrecbt zu nntersuchen bat, bedttrfen zu ibrer allseitigen Erkenntnis er^ gftnzender politiscber Betracbtnng. In der Wirklicbkeit der Er- scbeinungen ist der Staat ja in steter Bewegung begriffen, von der soziale Staats- und Staatsrecbtslebre gleichsam nur Moment- bilder geben. AUe wicbtigen Lebensprozesse des Staates aber Bowie alle Stttze seiner fiecbtsordnung waren vor und in ibrem

^) Terminologiscb ist ubrigens das Adjektiv „politisch** lange nicbt BO scbarfer Begrenzung f&big wie das Substantiv ^Politik". Unter spolitiseh" wird n&mlicb aucb die ganze soziale, kurz: die gesamte Dicht-juristiscbe Betracbtungsweise staatlicher Dinge verstanden. Der Politik lafst sicb die Staatslebre gegenuberstellen , aus letzterem Wort aber ist kein enteprecbendes Adjektiv zu pragen. Darum ist der Ge- braucb des Wortes ^politisch^ sowobl in einem engeren Sinne, von dem im Text die Rede ist, als aucb in dem bier er(5rterten weiteren kaum zu vermeiden, um so mebr als die Bezeicbnung „sozial^ fur die nicbt- juristiscbe Seite des Staates wegen ibrer Vieldeutigkeit b&ufig zu Mifs- yerst&ndnissen Anlafs geben wurde. Bei solcbem leider unauf hebbarem Mangel der Terminologie ist es aber wicbtig, dafs der Schriftsteller sicb stets klar ist, in welcbem Sinne er jedesmal die Pradikate ^sozial'^ und ^politiscb'' gebraucbt. tJber die mannigfaltige Bedeutung von nPoUtiscb^ vgl. aucb Rehm, Allg. Staatslebre, S. 8 f .

15 Erstes Buch. fiinleitende UnterauchangeD.

Entstehen Gegenstand polithcher Erw^ungen and Entschltisse ; alle vollendete staatliche Tat, alles bestebeude Recbt bringt politiscbe Wirkungen bervor. Daber ftlbrt gUnzlicbes Abstrabieren yon aller Politik zu leeren Ergebnissen oder bOcbstens znr Kenntuis staatlicber Skelette, denen jede Spur lebendiger Gestalt mangel t. In der tbeoretiscben Staatslebre als einer Begriffs- wissenscbaft ist alles abstrakt; das Konkrete wohnt dem Strom des politiscben Lebens inne, der, unaufbaltsam wecbselnde 6e- stalten erzeugend, durcb die Geschicbte flutet.

NamentUcb aber empfangen staatsrecbtlicbe Untersucbnngen durcb den Hinblick auf das politiscb M(5glicbe Inbalt und Ziel. So wenig Recbt und Politik miteinander vermischt werden sollen, so sebr jederzeit ibre scbarfen Grenzen zu beacbten sind, so ist docb erspriefslicbe staatsrecbtlicbe Untersucbung obne Kenntnis des politiscb Moglicben ausgescblossen. Obne dessen grunds&tz- licbe Beacbtung gerUt nftmlich das Staatsrecbt notwendig auf be- denklicbe Abwege und lHuft Gefabr, sicb in eine dem Leben und der realen Erkenntuis abgewaudte rein scbolastibche Disziplin zu verwandeln.

Politiscbe Erkenntnis lebrt vor allem die Grenzen sicberer staatsrecbtlicber Untersucbung feststellen. Mit vollem Recbt be- merkt La band, dafs die Recbtsdogmatik , abgeseben von der Erforscbung der geltenden positiven Recbtsstttze , d. b. der voll- stUndigen Kenntnis und Beberrscbung des positiven Stoffes, eine rein logiscbe DenktHtigkeit ist ^). Aber Feststellung des Inbaltes aller Recbtssfttze ist mit der reinen Logik nicbt mOglicb. Gerade die Grnndbegriffe des Staatsrecbtes , die alle Ubrigen tragen, spotten der rein logischen Bebandlung. Wenn die nSlbere Be- stimmung der Staatsform, das prinzipielle Verbftltnis der bocbsten Staatsorgane zueinander , der Einflufs der gescbicbtlicben Mftcbte auf Fortbestand oder Wandel der Staatsverfassung in Frage stebt, so sind diese Probleme nur unter eingebender Wttrdigung der konkreten politiscben Krftfte zu losen, welcbe jene grundlegenden lustitutionen ausgestaltet baben. £in staatsrecbtlicber Recbtssatz kann formell unverttndert bleiben und dennocb vermoge der Wirkung politiscber M^cbte eineu ganz anderen Inbalt gewinuen. Das zeigt sicb in vollster Deutlichkeit bei einem Recbte von langer geschicbtlicber Kontinuitat. So bat der Satz, dafs das

1) Das Staatsrecbt des Deutschen Reich es, 4. Aufl. 1901, I, S. IX.

Erstes Kapitel. Die Aufgabe der Staatslehre. 17

englische Parlament des Kdnigs Rat iat, seine rechtliche Be- deutung im Laafe der Jahrhunderte fortwKhrend geHndert, bo ist das Verbot der Eabinettsregiernng in England trotz der gegen- teiligen Praxis bis anf den hentigen Tag nicht aufgeboben worden and Anlsert in der Tat noch einige untergeordnete Wirknngen.^ Mit der formalen Logik allein kommt man daher leicht zur Zeich- nung staatsrechtlicber Bilder, denen in der Wirklichkeit der Dinge gar nichts entspricht. In Wabrheit spielt aber die formale Logik bei der Feststellung der staatsrechtlichen Grnndbegriffe lange nicht die ihr von der konstruktiven Methode zngedachte Bolle. Aach wenn man absieht von den staatsrechtlichen Autoren, die in aufdringlicher Weise mit ihrer politischen Gesinnung pmnken, so ergibt oft schou eine oberflftchliche Betrachtung der Stellnng, welche Vertreter der rein jnristischen Methode im Staatsrecht zu den gmndlegenden Problemen einnehmen, ganz dentlich ein Bild fester politischer Anschauangen , die sie ihren Untersachungen zugrunde gelegt haben.

Ein wichtiger Grundsatz, der aus solcher Erkenntnis folgt, lautet dahin, dafs das politisch UnmOgliche nicht Gegenstand ernsthafter juristischer Untersuchung s e i n k a n n. M Ufsig wUre z. B. eine Untersuchung der ^rage^ was Rechtens sei, wenn der deutsche Kaiser den Reichskanzler entlttrst, ohne einen neuen . zu emennen, oder wenn der Bundesrat sich weigern sollte, Vorschlttge fUr erledigte Richterstellen am Reichsgericht zu erstatten. FUr mttfsig halte ich auch die Er- 5rterungen tiber den Verzicht eines deutschen Bundesstaates auf ein ihm zustehendes Sonderrecht trotz eines dagegen gerichteten landesgesetzlichen Verbotes^). MUfsig ist die Frage nach der Zulllssigkeit der Realunion eines deutschen Gliedstaates mit einem aufserdeutschen Staat oder auch der M(5glichkeit eines Krieges zwischen den Gliedern einer Personalunion ^). Alles Recht soil gelten, d. h. die Mdglichkeit besitzen, in den Erscheinungen ver- wirklicht zu werden. Was nicht Wirklichkeit gewinnen kann, soil niemals Gegenstand der Rechtsforschung sein.

Ein zweiter wichtiger Grundsatz, den politische Erkenntnis die Rechtswissenschaft lehrt, besagt, dafs die Vermutung ftlr

^) Ygl. Lab and, Das Staatsrecht des Deutschen Reiches, 4. Aufl. 1901, I, S, 113.

«) Vgl. unten Kap. XXL

Jellinek, Das Reoht des modernen Staates. I. 2. AuH. 2

Ig Erstes Buch. Einleitende Untersucbungen.

die Rechtm&fsigkeit der Handlungen der obersten Staatgorgane spricht. Solange niemand zur Einsprache Be- rechtigter gegen einen Akt dieser Organe rechtliche Einwendungen erhebt oder ihn fUr unwirksam erklUrt, mttssen sie als recht- mftrsig'^angesehen word en , selbst wenn eine buchstAbliche Inter* pretation einer VerfasBungsbestimmung zu einem anderen Resultat fUhren wflrde. Es ist daher unangebracht^ den Begriff der Be- aufsichtigung in Art. 4 der Reichsverfassung so zu interpretieren, dais die gesetzlicbe ZustHndigkeit einer grofsen Zahl von Reicfas- beh5rden geradezu als verfassungswidrig erscbeint ^). Ebenso- wenig ist es zul&Bsig, die Beschlufsfassung des dentscben Reicbs- tages als eine Kette von Verfassungswidrigkeiten anzuseben^ weil die Mitglieder bei den Abstimmungen bttafig nicht in beschlnfs- fUbiger Zabl anwesend sind^). Vielmebr gilt der Reicbstag als beschlufsfUbig , solange nicht das Gegenteil vom Prttsidiam der Versammlung ausdrticklich konstatiert word en ist. Die Znlftssig- keit der Stellvertretung des Kaisers im Reiche und des KOnigs in Preufsen ist trotz theoretiscber Bedenken von keinem hierzu kompetenten Organe angezweifelt worden ^). Die sHchsiscbe Militttrkonvention , deren Ungilltigkeit von manchen Seiten be- bauptet wurde, ist tatsttcblicb in Kraft, da niemand bierza Be- rechtigter ibre Geltung bezweifelt *). Die tbeoretiscbe UngUltig- keitserklttrung derartiger Verbilltnisse sollte ja zu der Erkenntnis fUhren, dafs das, was man als geltendes Recbt bebauptet, diesen Cbarakter in Wirklicbkeit nicbt an sicb trftgt. Jene tatsftcblicbe unwidersprocbene Recbtstlbung mufs aber scbliefslicb aucb fUr die Theorie neues Recbt erzeugen, und so bilden die angeblichen

*) Vgl. die Ausfuhrungen von H&nel, Deutscbes Staatsrecht, I, 1892, S. 307 f.

«) Laband, I, S.323, Note 2. Bichtig Rieker, Ober Begriff ufld. Methode des aUgemeinen Staaterechts, Vierteljahrsschrift fiir Staata- u. Volkswirtschaft, IV, S. 266. Laband zieht denn aucb trotz energischen Protestes gegen die Verfassungswidrigkeit derartiger Beschlusse nicht die geringste praktische Konsequenz fur deren Gultigkeit.

*) Vgl. G.Meyer, Lehrbuch dea deutschen Staatarechtes, 6. Auil., berausgegeben von Anachutz, 1905, S. 286 Note 2 und die dort an- gefuhrte Literatur.

*) Zorn, Das Staatarecht dea Deutachen Reichea, 2. Aufl., II, 1897, S. 527f.; H&nel, 1, S. 492 Note 5. Dagegen richtig auf daa unbestreit- bare Faktum der Geltung der Konvention bingewieaen von Laband, IV, S. 30 Note 1; G. Meyer, § 197 Note 4.

Erstes KapiteL Die Aufgabe der StaaUlehre. 19

theoretischen YerfaflBnugswidrigkeiten schliefslich die Bechto- firdnung selbst fllr die von dem politisch M^glichen absehoDde Betrachtungsweise nm.

So hiilt denn der stete Hinblick atif die Realitilt des poli- tiscben Lebens die Btaatsrechiliche Tbeorie von Abirrungen frei. Anderseits erzengt politiscbe Erkenntnis fortwtlhrend die Forderung nacb neuem Recbt Solche Forderung setzt aber grUndliche Kenntnis des herrschenden Rechtes voraus. Daber bat die Staats- reebtslehre grofse Bedeutung fUr die Politik, die ihre Aufgaben obne jene nicbt erftlllen kann. £ine Kritik der gegebenen In* atitnte des <)fFentlichen Recbtes iet eine politiscbe Aufgabe, welche die Staatsrecbtslebre, sowobl die allgemeine und spezielle als die des Einzelrecbtesy zu erfUllen bat. Die Recbtswissenscbaft wttrde den edieren Teil ibres Bemfes gUnzlich aufgeben, wenn sie nur nacb rUckwftrts gewendet wiire und nicbt aucb nacb vorwHrts den M&cbten der Zukunft den Weg zu babnen mitbtllfe^).

4. Kansal- und Normwissenschaft.

Die im vorbergebenden gescbilderten einzelnen Zweige der Staatswissenscbaften sind scbliefslicb nocb unter einem anderen Oesicbtspunkt zu betracbten. Das ist aber der Unterscbied der kausalen Erkeuntnisart von der normativen. Es gibt zwei Arten von Regeln : solcbe, die den ursHcblicben Zusammenbang der Er- scbeinungen kennen lebren, und sodann diejenigen, welcbe durcb menscblicbe Gedanken und Handlungen zu verwirklichen sind, Regeln also, welcbe ein Sein, und solcbe, welcbe ein Sein-sollen ausdrUcken.

Aucb die zweite Gattung, die der Norm en, ist, wie die 'erste, sowobl Objekt der Bescbreibung als aucb der ErklSrung, Konstatierung der Nonnen fllr das gesellscbaftlicbe Handeln, Ver- «tllndnis ibres inneren Zusammenbangs sowobl untereinander als aucb mit der Gesamtbeit der sozialen Krilfte, die sie zum Bewufst- sein gebracbt baben, ist eine der vornebmsten Aufgaben sozial- wissenscbaftlicber Forscbung. Die wicbtigste Gattung der fllr die Staatswissenscbaft in Betracht kommenden Normen sind die

1) Ober die Aufgaben einer legislativpolitischen Jurisprudenz vgl. die treffenden Bemerkungen in der Rektoratsrede von A. Menger, Cber die sozialen Aufgaben der Rechtswissenschaft, 1895, S. 18 ff.

2*

20 Eretes Bach. Einleitende UnterBUchungexi.

Hechtsnormen. Die Rechtswissenscbaft ist daher eine Wissen- schaft nicht der Seinsgesetze, sondem der Normen.

Daraus ergibt sich ein wichtiger methodologischer Unter- schied zwischen sozialer Staatslehre und Staatsrechtslehre. Die erstere hat das gegenstEndlicbe, historische, wie ancb wohl nicht ganz zutreffend gesagt wurde, das natttrliche Sein des Staates^ die letztere hingegen die in jenem realen Sein zum Ausdruck kommen sollenden Rechtsnormen zum Inhalt. Diese Normen sind nicht ohne weiteres Wirkliches, sondem ein durch ununter* brochene menschliche Tat zu Yerwirklichendes. Mit dieser wich- tigen Erkenntnis ist einer Vermiscbung beider Teile der Staats- lehre ein fUr allemal vorgebeugt.

Auch die praktische Staatswissenscbaft hat Normen zu ihrem Inhalt Die Politik erkennt wie das Recht nicht ein Sein, sondern ein Seinsollendes. Doch ist zwischen den Normen des Recbts und denen der Politik ein tiefgreifender Unterschied vorhanden, der jede Vermengung beider ausscbliefst. Die Rechtsnormen nttmlicb sind geltende, d. h. in Kraft stehende Normen, denen Garantien ibrer Ei-ftLllung zur Seite stehen. Diese Geltung erbebt sie zu einem Teile des Seienden, so dafs sie eine Doppelstellung einnehmen. Das positive Recht unterscheidet sich von irgend- welchen anderen Willensnormen dadurch, dafs es als reale Macht bestimmte berecbenbare Wirkiingen ausUbt. Darum ist das Recht dieser Seite nacb Gegenstand der Wissenscbaft vom Seienden. Recbts- und wirtschaftgeschichtliche Untersuchungen, sozialpolitiscbe Kritik der gegebenen Zustflnde usw. betrachten das Recht als eineu tatsllcblicben Faktor des Volkslebens, sind ausschliefslicb dem Seienden im Recbte zugewandt. Namentlicb die Geschicbte wird das Recht nur nacb dem Mafse seines realen Seins, der tatsHchlicben Wirkungen messen kSnnen, die es bervorgebracht hat, da alles Sollen seiner Natur nacb sich nur in der Zukunft entfalten kann.

Politische Normen hingegen gelten nur kraft freier An- erkennung; sie haben keine andere Macht, sich durchzusetzen,. als die in jedem hierzu berufenen Individuum selbstKndig auf- tretende tJberzeugung von ibrer inneren Notwendigkeit ; sie k5nnen niemand aufgedrungen werden. Rechtsnormen sind, Grenzfftlle ausgenommen, stets unzweifelhaft; politische sind in der Regel Gegenstand des Zweifels, denn allgemein gUltige poli- tische Regeln k(innen schon deshalb nicht aufgestellt werden,,

Erstes Kapitel. Die Aufgabe der Staatelehre. 21

veil alle konkreten politiscben Zwecke entweder relativ oder metaphysisch , in beiden Ftlllen aber Gegenstand individuelleu oder parteimUfsigen Meinens und Glaubens sind.

5. Begrenzang der Aufgabe einer allgemeineii Staatslehre.

Der Staat ist zwar eine allgemein menschliche Erscheinung, allein ke^neswegs Iftfst sicb ein einbeitlicber , gemeinsamer Ur- sprnng aller Staaten bebaupten. Die AufUnge grundlegender menscblicber Institutionen sind uns in Dnnkel gebUllt. Zwar hat sicb etbnologiscbe und prUbistoriscbe Forscbnng in neuester Zeit energisch der L(5sung des Butsels der menscblicben Urgescbicbte zngewendet. Doch sind die sicberen, jedem Zweifel entrttckten Resnltate trotz einer reicben^ auf nmfassendem Material fufsenden Lit^ratnr sebr dttrftig.' So stebt vor allem in dem am meisten dnrcbforscbten Gebiete, in der Lebre von der Entstebung der FamilienverhSlltnisse, Ansicbt gegen Ansicbt, obne dafs irgend- eine als die durcbscblagende bezeicbnet werden kSnnte. Kon- struktionen aller Sorten vertreten die Stelle von Beweisen, daber. jeder, der die Entwicklang menscblicber Gemeinverbttltnisse zum besseren Verstfindnis der bistoriscben Erscbeinnngen oder gar, urn den zukiinftigen Gang der Gescbicbte zu bestimmen, ab ovo kennen lernen zu mUssen glaubt, in der Lage ist, flir aprioristiscbe Tbeorien aller Art sowie anch fUr soziale nnd politiscbe For- derungen der verscbiedensten Fftrbang aas der Menge des Stoffes das ibm Passe nde ausznsucben.

Bei solcber Sacblage ist ftlr die staatswissenschaftlicbe Forscbnng nnr eine zweifacbe M()glicbkeit gegeben. Entweder man begibt sicb auf den Boden scbwankender Hypotbesen, urn ein Glaabensbekenntnis Uber die AnfUnge der gesellscbaftlicben Institutionen abzulegen, oder man entsagt solcbem Beginnen in der Oberzeugung, dafs es vom Standpunkt unserer beutigen (und wahrscbeinlicb aucb kttnftigen) Kenntnisse unmSglicb ist, irgend- eine sozialwissenscbaftliche Disziplin derart zu fundieren, dafs man den ganzen Umwandlungsprozefs der von ibr zu erklftrenden Erscbeinnngen von ihren ersten Anf^ngen an mit Sicberheit dar- zustellen in der Lage wUre. Die zweite Alternative zu ergreifen, ziemt dem wissenscbaftlicb besonnenen Forscber, der nicbt selb- st&ndige Untersucbungen tiber jene Urgescbicbte anstellen will, sondern auf die Verwertung ihror Resultate fllr seine Zwecke angewiesen ist.

22 Erstes Buch. Einleitende Untersuchungen.

Derartige BeschrHnkung kann aber um so leicliter gettbt werden , als , wie spftter eingehend nachgewiesen werden wird, die weitere Ausgestaltang einer menschlicfaen Institution keines- wegs yon ihrem Ursprung abhftngt, vielmehr yon ein und dem- selben Ausgangspunkte aus ein und dasselbe Institut in der mannigfachsten Weise sicb umbilden kann, was tibrigens ohne weiteres yon all denen zugegeben werden mufs, die diese Mannigfaltigkeit auf eine ursprtlngliche Einbeit zurilckzufttbren bestrebt sind.

Eine zweite Begrenzung unserer Aufgabe liegt darin, dais sie im wesentlicben nur die Erscbeinungen der beutigen abend- lUndischen Staatenwelt und deren Yergangenbeit insoweit^ als es zum Verstttndnis der Gegenwart n($tig ist, als Forscbungsobjekt betracbtet. Diese Staaten bilden in ibrer ganzen bistoriscben Entwicklung einen selbst&ndigen Zweig der gesamten Staaten- familie. Allerdings bat die asiatiscbe Staatenwelt gemeinsame Wurzeln mit der abendlftndiscben , aber sie bat sicb dennocb •unabbttngig yon ibr entwickelt. Auf Hellas und Rom bat zweifellos orientaliscbe Kultur eingewirkt, und demgemSfs sind politiscbe Einricbtungen Agyptens, Persiens usw. fUr jene Staaten- bildungen yon Bedeutung geworden. Eingebende Untersucbung und Bertkcksicbtigung der altorientaliscben Staaten ist aber un- mtfglicby well das uns bekannte Material tlber sie yiel zu gering ist, um ein mebr als oberflttcblicbes Urteil gestattcn zu k^nnen. Nur die Aufsersten GrundzUge der altorientaliscben Staats- yerfassungen sind uns bekannt; jede detaillierte Ausgestaltung und bistoriscbe Entwicklung der einzelnen Institutionen aber, auf die es ja bier yor allem ankommt, ist uns meist gKnzlicb yer- scblossen , und was als Detail geboten wird , ist nicbts als sub- jektiye Konstruktion der Gescbicbtsforscber. Was wir yon dem alten Orient wissen, kann daber in den meisteu Fttllen nur als Illustration, nicbt aber als sicberes Fundament einer strong wissenschaftlicb und daber auf mOglicbst sicberer Basis auf- bauenden Staatslebre dienen. Dafs die autocbtbonen amerika- niscben, afrikaniscben und poljnesiscben Staatenbildungen mit den abendllbidiscben keinen nacbweisbaren Zusammenbang baben, bedarf keiner nttberen AusfUbrung. Der Hinblick auf sie kann daber nur zum Zweck des Beispiels oder der Korrektur un- zulttssiger Yerallgemeinerungen dienen.

In solcber zeitlicben und rftumlicben BescbrAnkung der Auf-

Erstes Kapitel. Die Aafgabe der Staatslehre. 23

gabe liegt aber keineBwegs eine Unyollkommenheit oder wenig- stens keine grOfsere als in alien anf bistorischem Boden er- wachsenen Disziplinen. Denn die Geschicbte ist nnd bleibt stets ein Fragment. Die ganze gescbichtlicbe Vergangenbeit als Grund* lage wissenscbaftlicber Erkenntnis fordern, heifst Unmtiglicbes verlangen oder einer Spekulation die Wege ebnen, die ibrem bleibenden Werte nacb sicb in nicbts von den pbantastiscben Geschicbtskonstruktionen der frtlberen Zeit unterscbeidet, die wir beute btScbstens nocb als Kariositiiten betracbten. Aber anch die Nicht> oder docb geringere Berttcksicbtigung der nicbtabend- Iftndischen Staaten der Vergangenbeit und Gegenwart bedeutet keine Minderung des wissenscbaftlicben Wertes dieses Werkes. Einmfd desbalb, weil wir Uber diese Staaten keine genUgende, anf die genaue Kunde ibrer Gescbicbte gestUtzte Kenntnis baben. Sodann aber, weil aus der vergleicbenden Betracbtnng yon ge- scbicbtlicb und sozial unzusammenbUngenden Bildnngen sicb keines- wegs tiefere Einsicbt in das Wesen der staatlicben Erscbeinungen Uberbaupt ergibt, sondern, wie im nftcbsten Kapitel nUber aus- geftibrt ist, nur allgemeine, aber inbaltsleere Sfttze von geringem Erkenntniswert gewonnen werden kOnnen.

Die dritte Grenze dieser Darstellung liegt darin, dafs von ilir die Politik ausgescblossen bleibt. Nicbt in dem Sinne, dafs politisclie Erdrteningen vermieden wftren , was ja den voran- gebenden Bemerkungen Uber das Verbtlltnis der Politik zur Staatslebre stracks widersprttcbe. Wobl aber ist auf die Politik nur so wait Rttcksicbt genommen, als es zum bessercn Verst&ndnis der theoretiscben Untersucbungen notwendig ist. Eingebende Bertlcksicbtigung baben aber die Grenzgebiete erfabren, die unter verscbiedenen Gesicbtspunkten sowobl der Staatslebre als der Politik znzuweisen sind: die Lebren von der Recbtfertigung und dem Zwecke des Staates, obne welcbe aucb eine vollendete tbeo- retiscbe Erkenntnis des Staates nicbt m^glicb ist.

Zweites Kapitel.

Die Methodik der Staatslehre 0.

1. Notwendigkeit methodologischer Untersachnng.

Wer heute an die Untersucbung 80zialer Grundprobleme geht, dem tritt sogleich der Mangel einer in die Tiefe dringenden Method enlehre fuhlbar entgegen. Die staatswissenschaftliche Literatur zeigt in diesem Pnnkte die grdfste Verwirrung, weil ein grofser Teil der Scbriftsteller , darunter solcbe^ denen ver- dienstvoUe Forderung des Details zu verdanken ist, sich Uber- baupt nicbt klarmacben, welcb grofse Scbwierigkeiten einer Bearbeitung der Gnindpbftnomene entgegensteben, wie viel feine Uuterscbiede zu beacbten sind , wie sebr wir gerade auf diesem Gebiete verleitet werden, Bilder und Analogien fUr reale Wabr- beiten zu balten. Zu einer sjstematiscben , umfassenden, alle Scbwierigkeiten bertibrenden Logik der Sozialwissenscbaften ist in flbnlicber Weise, wie es in neuerer Zeit mit Erfolg fUr die Naturwissenscbaften gescbeben ist, bisber kaum der Anfang gemacbt worden^). Und diese AnfUnge bezieben sicb Uber- wiegend auf die Gescbicbtsforscbung ®) , die politiscbe Oko-

') Unter Staatslehre wird in diesem Kapitel die allgemeine und spezielle Staatslehre in dem oben S. 9 f. entwickelten Sinne verstanden. Ausgeschlossen bleibt demnacb die Methodik der individuellen Staats- lehre.

^) tJber Methodik der Geisteswissenschaften im aligemeinen handeln namcntlich J. St. Mill, System der deduktiven und induktiven Logik. tJbersetzt von Schiel, II, 6. Buch; Sigwart, Logik, 2. Aufl. 1893, II, § 104; W. Dilthey, Einleitung in die Geisteswissenschaften, I, 1888; Wundt, Logik, 2. Aufl., II «.

') Hervorzuheben aus der neueren Literatur sind G. Simmel, Die Probleme der Geschichtsphilosophie, 2. Aufl. 1905; Rickert, Geschichts- philosophie in der ^Philosophie im Beginn des 20. Jahrh.", II, S. 56 ff. ; Bernheim, Lehrbuch der historischen Methode und der Geschichts-

Zweites Kapitel. Die Methodik der Staatslehre. 25

nomie^), Gesellschaftslehre ') and Statistik'), anf die Staatslehre aber nur in sehr geringem Mafse^). Daher konnte anf ihrem Gebiete bis in die Gegenwart berab jeder baltlose Einfall, sofern er nur mit Sicberbeit vorgetragen wurde, wissenscbaftlicbes An- sehen gewinnen und ernstlicb diskntiert werden. Bebauptang wurde ftir Tataacbe, tlberzeugung ftlr Beweis genommen^ Unklar- beit gait fUr Tiefsinn, willktlrlicbe Spekulation fllr bObere Er- kenntnisart. Das ist ancb der vornebmste Grand, warum in der Gescbicbte der Literatur der Staatslebre sicb in der neuesten Zeit eine so grofse LUcke aufgetan bat, so dafs in den letzten Jabrzebnten kein sjstematiscbes Werk ancb nur einigermafsen Anseben zu erringen vermocbt bat. Die alten, unsicberen Metboden oder vielmebr die alte Metbodenlosigkeit genligen den Anforderungen der Gegenwart nicht mebr. Die neuen Metboden sind aber erst im Werden; desbalb sucbt man sicb mit den

philosopbie, 8. Aufl. 1903, daselbst auch umfassende Literaturangaben ; Windelband, Gescbicbte und Naturwissenscbaft, 1894; v. Below, Die neue historische Methode, Hist. Zeitscbr. Bd. 81, 1898, S. 193—273; £d. Mejer, Zur Theorie und Methodik der Gescbicbte, 1902; Groteii- felt, Die Wertscb&tznng in der Gescbicbte, 1908; Lindner, Geschicbts- philosopbie, 2. Aufl. 1904.

I) Vgl. K. Menger, Untersucbungen uber die Methode der Sozial- wissenscbaften und der politiscben Okonomie insbesondere, 1888 ; Gustav Cohn, System der National5konomie, 1885, I, S. Iff.; Ad. Wagner, Grundlegung der politiscben Okonomie , 8. Aufl., I ^ , 1893 , § 54 ff. ; Scbmoller, Art. Volkswirtschaft, Volkswirtscbaftslebre und -methode im HWB. der Staatswissenscbaften, VI [, S. 548 fl*. Reiche Literatur- aDgaben in den beiden letztgenannten Werken.

^) Zum Teil die in den vorhergebenden Noten Geuannten. Aufser- dem besonders Stammler, Wirtschaft und Recbt nach der mate- rifllistiscben Gescbicbtsauffassung , 1896; Barth, Die Philosophie der Gescbicbte als Soziologie, I, 1897.

') Vgl. G. Riimelin, Zur Theorie der Statistik (Reden und Auf- satze, 1875), S. 208ff.; G. Majr, Die Gesetzm&fsigkeit im Gesellschafts- leben, 1877, S. 1 ff.; G. v. Mayr, Theoretische Statistik, 1897 (HB. des off. Recbts, Einleitnngsband, herausg. von M. v. Seydel, V) und die da- selbst angefuhrte Literatur.

^) Die hierbergehdrigen Untersucbungen bezieben sicb in der Regel auf die Methodik des Staatsrechts. Vgl. iiber sie mein System der subjektiven offentlichen Recbte, Kap. III. Ferner handelt uber die Methode des allgemeinen Staatsrechts Rieker in dem oben S. 18 zitierten Aufsatz. Von philosophischer Seite werden beiLask, Rechts- philosophie, in der „Philosophie im Beginn des 20. Jahrhunderts", II, 1905, S. 27 ff., auch die methodischen Probleme der Staatslehre beruhrt.

26 Erstes Buch. Einleitende UntersuchuDgen.

Grundbegriffen abzufinden, so gut es eben gebt, um das Haupt- interesse der Detailforsckung zuzuwenden. Da diese aber in wichtigen Pankten aus jenen Grundbegriffen deduzierend verfUhrt^ so sind schwerwiegende , gedeihlichen^ Fortschritt hindernde Irr- turner imvermeidlich. Deshalb mufs heute jede Untersuchung Uber die staatlichen Grundphftnomene mit Feststellung der methodo- logischen Prinzipien auf Grund der Resultate der neueren erkenntnis- theoretischen und logischen Forschnngen beginnen. Erst dann besitzt man ein sicheres Werkzeug, sowohl nm sich dnrch das Gestrtlpp der frUheren Literatur kritisch den Weg zu bahnen, als auch nm zu selbstKndiger fruchtbringender Forschung zu ge- langen.

Im folgenden solien daher die wichtigsten Punkte der in diesem Buche befolgten Methode dargelegt werden. Allerdiugs nur in den grOfsten ZUgen; jedes sonst so wUnschenswerte £indringen in das Detail mUfste an Stelle dieser einleitenden Untersuchung ein selbstHndiges Werk setzen.

2. Unterschied der sozialwissenschaftlicheB Erkenntnis von

der natarwissenschaftliclien.

Natttrliche VorgHnge unterscheiden sich yod sozialen dadurch, dafs in jenen sich die Wirkungen allgemeiner Gesetze derart nachweisen lassen, dafs das einzelne £reignis unmittelbar als Reprftsentant einer Gattung betrachtet werden kanu. Habe ich das YerhUltnis, in welchem Sauerstoff sich mit Wasserstoff zu Wasser verbindet, an einem einzigen Fall untersucht, so gilt das Resultat fUr alle mSglichen Ffllle derselben Art; kenne ich den Ban eiues einzigen Exemplars einer Tiergattung, so ist mir dam it der aller ilbrigen Mitglieder derselben Spezies bekannt. Jedes naturwissenschaftliche Lehrbuch zeigt uns, dafs sowohl das ein- zelne Geschehen als das Individuum ohne weiteres als ReprHsen- tanten eines Allgemeinen betrachtet werden und darin ihren wissenschaftlichen Wert erschdpfen.

Ganz anders aber verhMlt es sich mit dem historischeu und sozialen Geschehen^). Mag hier auch immerhin die aus all-

^) Uber historische und soziaie Gesetze vgl. K. Menger, S. 82 ff.; Lexis, Art. Gesetz, HWB. der StW., IV, S. 234 ff.; Schmoller, HWB. der StW., VII, S. 574ff.; Windelband, Gesch. u. Naturw., 8. 21; Simmel, S. 67 ff.; Bernheim, S. 92 ff., 99 ff., 105 ff., 108 ff., 140 ff.; Rickert, Gescbichtsphilos., S. 89ff.; Engels, Herm Eugen Duhrings

Zweites Kapitei. Die Methodik der Staatslehre. 27

gemeinen erkenntnistheoretischen Prinzipien abgeleitete Forderung existieren, dafs die Fulle der Einzelereignisse aafgefafst werde ala die Wirkung fester, im konkreten Vorgange zar ErscheinuDg ge- langender Gesetze : mit tinseren Hilfsmitteln und unseren Metfaoden warden wir yoraussichtlich nicht dahin gelaDgen, solche Gesetze in irgendwie bedeutenderem Umfange festzustellen. Das gilt nicht nur von den den Znsammenhang der £rscheinangen er- klUrenden kausalen Gesetzen, sondem anch von den die blofse tatsilcbliche regelmttfsige Wiederkebr bestimmter Erscheinungen in eine feste Formel ausprttgenden empirischen Gesetzen. Auf psychischem Gebiete n&mlich verlflfst uns das Mafs, mit dem wir natttrliche Vorg&nge messen, oder ftlhrt uns docb nicht weit. Das Ziel der Natnrwissenschaft , die QualiULten in QuantitHten zu verwandeln, ist ftlr die Welt des historischen Geschehens nicht zu erreichen. Wohl sind von den Geschicbtsphilosophen der frttheren Zeit nnd den Soziologen der Gegenwart zahlreiche Ge- setze des historischen Geschehens aufgestellt worden; allein wo- fern es sich nicht urn ganz vage Allgemeinheiten handelt, ist selten anch nur unter zweien von ihnen t)bereinstimmung in einem wesentlichen Punkte zu finden. Das angebliche Gesetz erweist sich in der Begel als eine Konstruktion auf Grund un- beweisbarer Voraussetzungen und ungenUgender Kenntnis der Tatsachen. Deshalb kommen wir auch niemals dahin, ein kttnftiges geschichtliches Ereignis mit einiger Sicherheit zu bestimmen, wUhrend selbst verhilltnismttrsig verwickelte physikalische Vor- gdnge mit Hilfe naturwissenschaftlicher Erkenntnis im voraus berechnet werden kOnnen.

Der Grund hiervon liegt darin, dafs soziale Yorgftnge niemals blofs als Wirkungen allgemeiner KrUfte, sondern vor allem auch als Leistungen bestimmter Individuen erschelnen. Menschliche Individuen unterscheiden sich aber grunds&tzlich von natUrlicheu Krttften dadurch, dafs sie gegentiber der Gleichartigkeit dieser eine unendliche Mannigfaltigkeit aufweisen. Alle natUrlichen KrUfte sind mefsbar, indem wir sie auf Krafteinheiten zurtlck- fuhren. Die kleinsten materiellen Teile sowohl in der einfacheii Form des Atoms als in der komplizierten des Moleklils sind

Umwalzung der Wissenschaft, 3. Aufl. 1894, S. 77 ff.; W. Freytag im Arcbiv fur syst. Philosophie, VI, 1900, S. 311.ff,; Lindner, Geschichts- philoBophie, 2. Aufl. 1904, S. 170 ff.

28 firstes Buch. Einleitende Untersuchungen.

durchaus homogen: ein Atom Kohlenstoff, ein MolekUl Kohlen- sllure sind ihren spezifischen Eigenschaften nach mit den anderen ilirer Gattung durchaus identisch. Menschliche Individuen hin- gegen sind ins Unendliche verschieden; in jedem von ihnen ist ein einziggeartetes; unwiederholbares Element zu finden, das ihre sozialen Leistungen bestimmt. Jedes einzelne Naturobjekt hat zwar auch eine individuelle Gestalt, die es von alien anderen gleicber Art unterscheidet. Je komplizierter die Naturobjekte sind, desto mehr kommen die individualisierenden Elemente in ihnen znm Ausdruck. Bei hOheren Pflanzen nnd Tieren treten sie jedermann sofort mit sichtbarer Scbftrfe entgegen. Aber dieses Individuelle ist nicht oder doch nur in untergeordnetem Mafse Gegenstand naturwissenschaftlicher Forschung. In mensch- lichen Dingen tlberwiegen aber die individualisierenden Elemente derart, dafs eine sie ignorierende Wissenschaft nur dttrffcige, das reale Leben nicht erfassende Resultate zu bieten vermag*).

Lfifst sich nun die Grundlage aller sozialen Erscheinungen, das Individuum, niemals vOllig berechnen, so ist damit auch die Unm5glichkeit umfassender Erkenntnis sozialer G^setze dargetan. Jede geschichtliche Tatsache, jede soziale Erscheinung bietet bei aller Gleichartigkeit und Ahnlichkeit mit anderen doch stets ein Element individueller Bestimmtheit dar, das sie von alien anderen, wenn auch noch so nah mit ihnen verwandten spezifisch unter- scheidet. Kein soziales Ereignis ist blofs Reprftsentant einer Gattung, sondern zugleich etwas nur einmal Daseiendes, niemals mehr in genau derselben Form Wiederkehrendes, wie denn ttber- haupt in der unabsehbaren Fillle menschlicher Individualitflten niemals dasselbe Individuum sich wiederholt.

3. Die Forschung nach den Typen in der Sozialwissenschaft.

Trotz dieser Mannigfaltigkeit ist aber die Differenz zwischen den Individuen nicht so bedeutend, dafs nicht gewisse Ahnlich- keiten in ihrer psjchischen Ausgestaltung stattfttnden. Neben den individualisierenden sind auch weitgehende gemeinsame Elemente in ihnen enthalten. Fehlten diese, so wflre es Uber-

^) Die M3glichkeit der Erkenntnis aUgemeiner Urteile uber histo- risch-soziale Erscheinungen und gemeingultiger Gesetze ibres Geschehens «oIl daher mit Rucksicht auf die identischen Elemente in ihnen nicht geleugnet, wohl aber ange^weifelt werden, dafs aus ihnen wegen ihrer Inhaltsieere erheblicher wissenschaftlicher Nutzen gezogen werden kann.

Zweites Kapitel. Die Methodik der Staatslehre. 29

haupt nicht mttglich, zu einer wissenscfaaftlichen Aussage liber inenschliche Dinge zu gelangen. Triebe, Ftthigkeiten, Aulagen sind bis za einem gewissen Grade, sei es alien Meuschen, sei en einem weiteren oder engeren Kreise unter ihnen gemeinsam* All unsere Lebensklugbeit bernbt auf der Erkenntnis des Gleicbartigen in der menschlichen Natur, all unser Scbaffen und Sorgen Air die nabe und feme Zukunft auf der Uberzengnng^ dafs in der Mannigfaltigkeit der menschlicben Dinge sicb dennoch stets ein Identiscbes, von der Besonderbeit der Individuen Un- abblingiges offenbart.

Mit dieser Erkenntnis ist der sozialwissenscbaftlicbea Forscbnng Weg und Ziel gewiesen. Bei natUrlicben Vorgilngea derselben Art Uberwiegen fUr das wissenscbaftlicbe Interesse die identiscfaen Elemente, wllbrend diese bei sozialen durcb die indi* vidualisierenden Elemente derart znrUckgedrHngt werden, dafs soziales Gescheben sicb niemals in identiscber, sondern nur la analoger Weise wiederbolt. Die erklilrende Naturwissenscbaft kann daber die individnalisierenden Elemente in grolsem Umfange ignorieren: sie kann mit Erfolg das Identiscbe in den Er- scbeinnngen festbalten. Soziale Vorgttnge gleicber Art bieten aber nur in eng begrenztem Mafse IdentitHten, Uberwiegend nur Analogien der Forscbung dar. Daber k6nnen allgemeine Gesetze hier niemals die Einzelerscbeinnng erklftren: sie darf niemals blofs als Verwirklicbung eines Allgemeinen, das in ibr rein zur Erscheinung kommt, betracbtet werden, widrigenfalls man nur eine ganz scbiefe und unzulttnglicbe Vorstellung von ibr erbttlt*. Was mit ricbtigem Blicke der rdmiscbe Jurist vom Zivilrecbt be- ^ hauptet bat: dafs in ibm jede Definition gefUbrlicb sei, well es^ nicbt scbwer flillt, sie umzustofsen, das gilt von alien all- gemeinen S&tzen auf dem Gesamtgebiete der Gesellscbaftswissen* scbaften. Die Fttlle des Lebens liifst sicb eben nicbt in enge Scbablonen pressen. Erweitert man aber diese Scbablonen, so sind sie entweder so nicbtssagend und selbstverstttndlicb , dafs sie kaum nocb wissenscbaftlicben Wert besitzen, oder so un- ricbtig, dafs aucb oberflttcblicbe Kritik sie obne weiteres zu ver- neinen vermag^).

*) Vorzuglicbe AusfubruDgen uber die „ewigen Wahrheiten'* auf historiscb-sozialem Gebiete bei En gels a. a. 0. S. 83 ff., die allerdings merkwurdig mit den Marx - Engelsschen Versucben einer endgUltigen Geschicbtskonstruktion im sozialistischen Sinne kontrastieren.

30 Erstes Buch. Einleitende Untersuchungen.

1st nun aber der Gesamtlauf des historischen Geschehens bei der Xatur unserer wissenschaftlichen Mittel und Methoden in ehdgtiltiger Weise Uberhaupt nicht zu erfassen, so verringem sicb doch die der Erkenntnis sich entgegenstellenden Sohwierig- keiten, wenn man bestimmte Seiten des menschlichen Gemein- lebens hervorhebt und der Erforschung unterwirft. Alle solche wissenschaftliche Isolierung ist zwar, weil das Leben in an- gebrochener Einheit zeigt, was der Verstand trennt, von vorn- herein mit gewissen Fehlern behaftet, die indes ohne MUhe dnrch die besounene Uberlegung ausgeglichen werden k($nnen, dafs die so erlangte Erkenntnis nicht die endgUitige ist, sondern fort- w&brend der Korrektur dnrch die Verbindung mit den dnrch die theoretische Isolierung des Objektes ausgeschiedenen Gebieten bedarf.

Bei solcher Isolierung werden nun aus dem Bereiche des ludividuellen weite Strecken gleichsam abgeschnitten, so dafs das Verhliltnis der generellen zu den individuellen Faktoren zu- gunsten der ersteren steigt. So wird z. B. der Jurist, indem er das Rechtsleben des Volkes isoliert, die Individuen nur in ihrem Verhaltnis zur Rechtsordnung betrachten, bei welchem Verfahren «ine Fttlle der bedeutsamst^en Unterschiede unter den Menschen ignoriert werden und bis zu einem gewissen Grade ignoriert werden kdnnen. Der Mensch wird nach Alter und Geschlecht, iiacli Beruf und Stand, nach sorgfkl tiger nnd leichtsinniger, nach b^ser und fahrlftssiger Handlungsweise vom Recht erfafst und beurteilt. Die feineren Nuancen der Pers($nlichkeit aber entgehen dem Blicke des Kichters und Rechtslehrers. Ihneu genttgen Cains und Titius, der Klttger und der Beklagte, die in tthnlicher Weise ein Allgemeines darstellen wie die Tdne in der Akustik oder die Farben in der Optik. In der Wirklichkeit des Lebens aber individual isieren sich alle Kechtsgeschfilfte und Delikte, da gilt der alte Satz: si duo faciunt idem, uon est idem. Die KHufe, die auf dem Wochenmarkte abgeschlossen werden, fallen flir den Juristen der grofsen Mehrzahl nach unter ein und denselben Typus. Nach ihren wirtschaftlichen Yoraussetzungen und Zwecken, ihrer Bedeutung fUr eine jede einzelne Haushaltung findet aber auch unter ihnen die grOfste Mannigfaltigkeit statt, die flir den von hohem Interesse ist, der den Verkehr des tHglichen Lebens nach seiner volkswirtschaftlichen, statistischen , hygienischen usw. 8eite, die der juristischen Betrachtung entgehen, kennen lernen

Zweites Kapitel. Die Method ik der Staatslehre. 31

will. Und sicherlich ist der Jurist, der seine Betrachtungfiweise der LebensverhUltnisse ftir die einzig richtige hftlt, kein Mann der Wissenschaft im yollen Sinne. Geht doch alle Umbildnng und Fortbildung des Hechtes in erster Linie von der Erkenntnis dessen ans, was vor und hinter dem Recbte liegt.

Ist aber aucb bei dem isolierten Objekt die Wirknng der individualisierenden £lemente yerbttltnismttfsig geringer, so feblt sie docb aucb in solchem Falle nicht. Daber die vielen Aus- nahmen, welcbe die Rechtsregeln durcbbrecben. Daber die £r- scbeinung, dais der Oesetzgeber im Privatrecbt zwar Recbtstjpen aufstellt, aber dem Privatwillen weitgebende Abweicbungen vom Tjpus gestattet : das dispositive Becbt ist das Erzeugnis des Individ ualismus, der aucb das Recbtsleben durcbdringt. Im Straf- recbt dienen die relativen Strafandrohungen, die Strafzumessungs- und AusscbliefsungsgrUnde dazu, um das streng individuelle Element im Delikt zum recbtlicben Ausdruck zu bringen. Je allgemeiner ein Recbtssatz ist, desto mebr Ausnabmen von ibm mttssen fest- gestellt werden, desto weniger kann man mit Bestimmtbeit darauf recbnen, ibn durcb den Einzelfall besttttigt zu finden. An der Klippe der individualisierenden Elemente scbeitert jeder Versucb weitgebendor Generalisierung im Recbte. Das Naturrecbt, aus lauter allgemeinen SHtzen bestebend, die entweder gar nicbt oder niigends voUstllndig verwirklicbt werden, ist darum das scbftrfste Gegeubild zum positiven Recbte.

Abnlicb wie mit den recbtlicben verblilt es sicb aber mit den staatlicben Yerhttltnissen , sowobl mit der bistorischen Er- scbeinung des Staates selbst als mit den einzelnen staatlicben Gliedern und Funktionen. Jeder Staat, jedes Staatsorgan, jeder Vorgang im Staate ist zunllcbst etwas v($llig Individ uelles. Isoliert man aber die staatlicben Erscbeinungen , so springen aucb bei ihnen allgemeine, in alien wiederkebrende Elemente ins Auge, die nacb wissenscbaftlicher Erkenntnis verlangen. In dem Ban und in der Zusammensetzung der Staaten, in ibrem Wirkungs- kreise finden wir vermOge gewisser, durcb Isolierung des Objektes zu erkennender identiscber Elemente weitgebende Analogien. So kdnnen denn die Staaten klassifiziert und ibre Institutionen ein- Leitlicben Begri£fen untergeordnet und damit eine Wissenschaft vom Staate gescbafFen werden. Allein aucb von dieser Wissen- schaft darf nicbt Uberseben werden, dafs kein Staat und keine staatiicbe Institution blofs die Verwirklicbung eines Abstraktums

««

32 Erstes Buch, £inleitende Untersuchungen.

oder die Wiederholung von etwas bereits Dageweseoem ist. Das Frankreich Ludwigs XIV. , das Preufsen Friedrich Wilhelms III. und das Bufsland Alexanders III. sind nicht etwa blofs drei ver- schiedene Beispiele des Typus der absoluten Monarchie, sondern auch drei von Grund ans verschiedene staatliche fiildungen. Kraft der die IdentiUlten ttberwiegenden individualisierenden Elemente, die um so schttrfer hervortreten , je mebr man die- Gesamtheit der Bedingungen und Beziehnngen des konkreten Einzelstaatslebens ins Auge fafst, gibt es auch auf diesern Gebiete niemals v5llig gleiche, sondern nur gleichartige Erscheinungen : die realen Bildungen gleichen sicb nicht, sondern Hbneln sich nur.

Hierdurch aber wird die Aufgabe der Wissenschaft in eigen- tttmlicher Weise umgrenzt. Es gibt nftmlich eine Kenntnis des Einzelstaates, die diesen in seiner Eigenart beschreibt, sei es nach seiner historisch-politischen, sei es nach seiner juristischen Seite. In einer solchen Disziplin ist alles konkret, positiv, individuell, real. Der Einzelstaat ist aber nach keiner Richtung htn eine isolierte Erscheinung. Die ganze Entwicklung der staatlichen Institution tiberhanpt ist ihm vorangegangen ; in mehr oder minder bewnfster Weise haben die Verhftltnisse anderer frttherer und gleichzeitiger Staaten auf ihn eingewirkt; in den Flufs des historischen Geschehens gestellt, wird er durch geschichtliche Kriifte, die nicht auf seine Grenzen sich beschrttnken, fortwMhrend umgebildet ; in stetem Verkehr mit anderen Staaten stehend, mufs er seinesgleichen anerkeunen, und damit ist es ihm unmOglich, sich bei ailer Eigenart bios als einziggeartet zu betrachten. So mufs denu neben die Kenntnis vom Einzelstaat die von der staatlichen Institution Uberhaupt und den einzelnen staatlichen Institutionen treten, wie sie als gleichartige Erscheinung in den konkreten Staatsbildungen sich entfaltet. Durch sie wird tlber- haupt erst der konkrete Staat in seiner Eigenart verstftndlich, denn sie erst scheidet das Typische von dem Individuellen , was gleichermafsen fUr die theoretische Erkenntnis wie fUr die politische Tat von der h^chsten Bedeutung ist.

4. Die Typen als Gegenstand der Staatslehre.

Die Aufgabe einer Wissenschaft vom Staate und den staat- lichen Institutionen ilberhaupt ist es nun, diese typischen Elemente in den staatlichen Erscheinungen und ihren gegen-

Zweites Kapitel. Die Methodik der Staatslehre. 33

seitigen BeziehnDgen au&nsachen. Dieser scheinbar so einfache Satz bedarf eingehender Erlttuternng.

Els mnliB nHmlich asavOrderst voile Rlarheit in den Begriff des Tjpns gebracht werden. Oerade in der Wandlnng, die der Begriff in der Staatswissenschaft der neneren Zeit dnrcbgemacht bat, zeigt sicb die grobe Wandlnng^ die sich in der Wissenschaft selbst vollziebt.

Der Begriff des Tjpns kann einmal in dem Sinne gefafst werden, dads er das vollkommene Wesen einer Gkttung bezeicbnet, mag man ibn sicb in platoniscber Weise als jenseitige Idee vor- stellen, die nnr nnvollkommen in den Individuen zur Erscheinung gelangt, oder ibn sicb mit Aristoteles als wirkende, formgebende Kraft denken, welcbe die einzelnen Ekemplare der Gattnng ans- gestaltet. £s ist der Begriff des idealen Tjpns, der seit den Tagen der belleniscben Pbilosopbie durcb die Scbolastik des Mittelalters bindnrcb bis anf den beutigen Tag das gesamte wissen* schaftlicbe Denken nnanterbrocben beschttftigt bat.

Dieser ideale Typns aber bat wesentlicb teleologische Be- dentung : es ist das jikog jeglicben Dinges und jeglicber mensch* licben Erscbeinnng, ibn zum Ausdruck zu bringen. Er ist kein Seiendes, sondem ein Seinsolleudes ^). Damit ist er zngleicb WertmaCsstab des Gegebenen. Was ibm entspricht, ist gut nnd bat das Recbt, sicb durcbzusetzen und dazusein; was ibm niebt entspricbt, ist zu verwerfen und zu ttberwinden.

In der Staatslebre mtlndet diese Vorstellung vom idealen Typus notwendigerweise in das Streben, den besten Staat zu finden nnd an ibm die gegebenen staatlicben Institutionen zu messen. Die Gescbicbte der Staatslebre ist aber nicbt zum geringen Teil Oescbicbte der Versnche, den tjpiscben Staat zu erkennen, bedeutet daber im Grunde die Verwandlung aller Staats- lebre in Politik. Was bei Plato ausdrUcklicb erklttrter Zweck aller politiscben Spekulation war, das ist verbtillter oder offener nocb in vollem Umfange bis in die Staatslebre der Gegenwart binein zn finden. Alles Forschen nacb dem Staatszweck und dem Recbtsgrunde der Staaten, alle naturrechtlichen Deduktionen

') Zwei Gattungen solcber Idealtjpen sind zu unterscheiden. £nt- weder ist der Typus freies Gebilde der Spekulation (wie er namentlich in Form der Staatsromaue auftritt), oder es werden vorhandene Staaten Oder einzelne ibrer Institutionen zu einem Idealtypus umgebildet.

Jellinek, Pas Recht des modernen Staates. I. 2. Aufl. 3

34 Erstes Buck £inleitende Untersuchungen.

znr Begriindung des flirstlichen Absolutismus und der Volks* souverttniUlt , alle Schilderungen des konstitutionellen Staates auf i

Grund der Idee von der Gewaltenteilung, alle Theorien vom christ- lichen, vom national en, vom Rechtsstaate , wie sie unser Jabr- hnndert gezeitigt hat, sind im Grunde nicbts als Versucbe, den idealen Staatstypus in endgttltiger Weise festzustellen.

Heute aber ist es kaum mebr eines Beweises bedUrftig, dafs der jeweilig aufgestellte Typus nicbt auf dem Wege wissen- schaftlicber Forscbung, sondern auf dem der Spekulation ge- funden worden ist. Und nicbt etwa auf dem Wege klibl ab- w%ender und bebutsam vorwftrts scbreitender Spekulation. Die tiefstgebenden politiscben Strebungen einer Zeit und ibrer Parteien sind in den Staatstypen zum Ausdruck gekommen, wie sie uns die Gescbicbte der politiscben Literatur in buntem Wechsel vorftlbrt.

Das Sucben und Finden idealer Typen entspricbt einem tiefen, unabweislicben BedUrfnis der menscblicben Natur, das namentlicb praktiscb von der grOfsten Bedeutung ist. Die Politik bat ibrer nie entraten kdnnen; die grofsen Wandlungen der Menscbengescbicke sind niemals durcb blolses opportunistiscbes Handeln berbeigefllhrt worden. Die Prinzipien der StaatsmUnner und Parteien, die Dauerndes zu scbaffen beabsicbtigen , sowie anderseits alle revolutionilren Bestrebungen entlebnen ihre Kraft und Festigkeit nicbt zum geringsten der t)berzeugung von einem zur Verwirklicbung bestimmten Staatstypus.

So grofs aber aucb der Wert idealer Typen ftir das Handeln ist, so wenig gew^hren sie tbeoretisch-wissenscbaftlicbe Erkenntnis, - denn Objekt der tbeoretiscben Wissenscbaft ist und bleibt das Seiende, nicbt das SeinsoUende , die gegebene Welt, nicbt eine zu erscbaffende. Wie alle Spekulation, ruht aucb die vom idealen Staatstypus in letzter Linie auf dem Boden subjektiver tJber- zeuguugen, zwiscben denen vielfacb eine tlbereinstimmung unter den Subjekten unm5glich ist. Die Idealtypen sind daber im Grunde nicbt Objekt des Wissens, sondern des Glaubens, daber aucb politiscber Doktrinarismus so auffallende Ahnlicbkeit mit religi5sem Fanatismus zeigt.

Dem idealen Typus entgegengesetzt ist aber der empiriscbe Typus. Wenn wir eine grOfsere Zabl von Individuen unter be- stimmten Gesicbtspunkten auf ein ibnen gemeinsames Merkmal bin vergleicben, so bekommen wir ebenfalls ein typiscbes Bild.

y Zwcites Kapttel. Die Methodik der Staatslehre. 35

So haben wir tjpische Yorstellungen Tom Kind6, vom Greise, Ton bestimmten Bernfen, Klassen, Nationen usw. Derartige Tjpen bildet sicb jedermann in grdfserer oder geringorer Schftrfe gexnttfs seinen Anlagen und Erfahrungen. Mittelst dieser Typen ordnen und begreifen wir einen grofsen Teil unseres sozialen Lebens; ja die grofse Masse der Menschen ist in sehr vielen Fallen nur imstande, den Typus festzuhalteD, bo dafs sie in der Kegel die iudividualisierenden Elemeute des Einzelfalles fiber- « siebt. Alle sozialen, nationalen, konfessionellen Vorurteile sind ja scbliefslich nur die Wirkungen dieses typischen Denkens. Die Ffthigkeity stets zu individaalisieren , ist das Zeichen bOcbster Bildung.

Der empirische Typus unterscbeidet sich vom Idealtypus vor allem dadurch, dafs er nicbt den Ansprucb erhebt, ein bOheres objektives Sein darzustellen. Er bedeutet eine Zusammenfassung Yon Merkmalen der Erscbeinungen, die ganz von dem Standpunkt abbilngt, den der Forscber einnimmt. Er ordnet die Mannig- faltigkeit der Erscbeinungen, indem er das Oemeinsame in ibnen logiscb berausbebt. So wird er durcb eine Abstraktion ge- wonnen, die sicb im Kopf des Forscbers vollzieht, der gegenUber die nngebrocbene FttUe der Erscbeinungen das Reale bleibt.

Aufgabe der Wissenscbaft vom Staate, insoweit ibr Objekt nicbt ausscbliefslicb der einzelne Staat bildet, ist es nun, diese empiriscben Typen staatlicber Verh&ltnisse zu find en. Analoge soziale Zusammensetzuug, analoge gescbicbtlicbe Entwicklung, analoge ftufsere Bedingungen wirken analoge politisclie Blldungen aus. Kraft des bistoriscben Zusammenbanges, der die in Kultur- gemeinschaft stebenden Staaten miteinander verbindet, netzeu sicb die typiscben Elemente iiberall neben den individuellen durcb und gestalten sicb diesen entsprecbend um.

Gefunden werden diese empiriscben Typen auf indiiktivem Wege, also durcb sorgfUltige Vergleichung der einzelnen Staaten, ibrer Organisation, ibrer Funktionen. So einfacb aber dieses metbodiscbe Prinzip zu sein scheint, so uotwendig einerseits and scbwierig anderseits ist es, die eigentUmlicben Grundsfttze sicb zum Bewufstsein zu bringen , welebe die Induktion auf diesem Gebiete beberrscben.

Zunilcbst darf die Vergleicliung nicbt zu weit getrieben

werden. Wer Staaten und staatlicbe Einricbtungeu der ver-

schiedensten Kulturstufen und der entlegensten Zeiten miteinander

3*

36 Erstes Bach. Einleitende UntersnchungeiL

vergleicht, erhUlt entweder gar keine oder nur ganz farblose^ jeglicber Bestimmtheit entbehrende Typen. Je welter nKmlich die Yergleichnng getrieben wird, desto mehr individualisierende Elemente mttssen vemachllUsigt werden, desto weniger Erkenntnis wird also durch das Anfstellen des Typas gewonnen. Was von den hifltorischen Gesetzen gesagt wnrde, dafs sie meist nur Piatt- heiten nnd Gemeinplfttze darbieten, das gilt auch von der zn weit getriebenen Oeneralisierung in den Gesellschaftswissen- scbaften. Das zeigen dentlicb die Versnche, eine allgemeine vei^leichende Recbtswissenschaft zu scbafFen. Insofern diese nUmlich aus dem von ibnen berbeigetragenen Material gemein- gUltige Typen der Rechtsentwicklung aufstellen, bringen sie ent- weder Dur vage Allgemein heiten zustande, wie z, B. , dafs die Ranbehe sich znr Kaufehe wandelt, dafs die Blntrache der <5ffent- licben Strafe vofangeht, dafs Ordalien auf gewisser Knlturstufe Uberall Beweismittel bilden ^)j dafs die Leviratsebe sich bei einer grofsen Zahl von VOlkem vorfindet^), oder sie ftihren zu dem zwingenden Scblusse, dafs alles sich unter anderen Yerbftltnissen anders gestalten kann. Die zahlreichen Darstellungen ^ welcbe die Recbtssysteme von Vttlkem minderer oder entlegener Kultiir in neuester Zeit erfahren habeD , zeigen so viele und so weit- gehende Variationen, dafs es immer schwieriger wird^ in diesem fortw&hrend sich mehrenden Gewirre einen unsere wissenschaflt- Hebe Einsicht vermehrenden Bestand allgemeiner, typischer Er- scbeinungen zn finden^).

Damit ergibt sich aber auch vom methodologischen Stand* punkte aus die Beschrtokung der Induktion auf jene Staaten^ welcbe einem gemeinsamen geschichtlichen Boden entsprossen sind, und die diesen gemeinsamen Boden bildenden politischeu Gestaltungen der Yergangenbeit. Nur wo gemeinsame historiscbe, politische, soziale Grundlagen vorhanden sind, wird sich eine weitgehende tJbereinstimmung in Struktur nnd Funktion der Staaten nachweisen lassen. Der Hinblick auf andere Staaten-

1) Kohler, Das Recht als Kulturerscheinung, 1885, S. 8 ff., 20 ff., 23.

^) Ygl. Post, Einleituog in das Studium der ethnologischen Juris- prudenz, 1886, S. 28 ff.

8) Sehr lehrreich in dieser HiDsicht ist Post, Afrikanische Juris- prudenz, 2 Bde. 1887, der selbst nicht imstande ist, aus dem unge- heuren von ihm gesammelten Material irgendein h5heres Resultat zvl Ziehen.

Zwdtes Kapitel. Die Methodik der Staatslehre. 87

grnppen wird allerdings die Bedeatung einer Korrektor der £r- kenntDis haben, indem er yielfach lehren wird, dafs manches, was man in absoluter Weise vom Staate ttberhaupt aoszasagen ge.neigt isti dock nnr historisch bedingt nnd daher relativ sei.

Aber ancb innerhalb des derart aus der Reihe aller mOg*i Jichen Staaten herausgehobenen Staatensystems mafR die Yer- gleicbung mit Vorsicht verfabren. Wie bereits erwKbnt, sind idle menscblicben Institntionen, and daher aach der Staat, djrna- miflcber Natnr, d. b. sein Wesen ist nicht ein ftir alle Zeiten festeS| sondem ilndert sicb, bildet sicb am, indem es sicb dem ganzen Umwandlungsprozesse anBcbmiegt, den die Menscbbeit in ihrer Oescbicbte durcbmacht. Um daber ein reicb entfalteteB typiscbes Bild vom Staate zu erbalten, mufs man gleicbzeitige oder docb zeitlicb nicbt weit auseinanderliegende staatlicbe Gebilde miteinander vergleicben. Allerdings werden typiscbe Elemente nicbt gftnzlicb fehlen, wenn man etwa an tike and moderne Staaten in Parallele stellt, allein der tiefgreifende Unter- scbied der auf verHnderten bistoriscben Bedingangen rahonden hentigen Staatenwelt von der des Altertams Ittfst bei der Ver- gleicbung beider die individnalisierenden Elemente ilber die typiscben llberwiegen. Das zeigt sicb deutlicb, wenn roan z. B. antike und moderne Demokratie, r5miscbes Imperatoren- and absolutes Konigtum der neaeren Zeit als Glieder ein and der- selben Ketto auffafst.

Aas diesen Betracbtungen ergibt sicb aber femer aucb pro futnro die Verllnderlicbkeit des Typas. Jede neae Bildung kann ein bisber ftir typiscb erklilrtes Element als individnell gefftrbt, also dem Typus nicbt wesentlicb, nachweisen. Ein diese Tat- sache auf das treffendste illastrierendes Beispiel bietet die Ge- scbicbte des Bandesstaatsbegriffes dar. Dieser mit der Scb5pfung der nordamerikanischen Union entstandeue neue Typus wurde zunflcbst in der Theorie ausscbliefslicb aus den Verbflltnissen der Vereinigten Staaten destilliert, also das in einem Exemplar Vor- handene wissenscbaftlicb fUr eine Gattung erklSlrt, Da biefs es denn z. B., dafs gegenseitige vSllige UnabbHngigkeit von Bundes- und Gliedstaatsgewalt ein wesentliches Merkmal der neuen Form der Staaten verbindungen sei. Der nicht obne den Einflufs der amerikaniscben Verb&ltnisse gebildete Scbweizer Bundesstaat seit 1848, nocb mebr aber das Deutsche Reicb, konnten nicbt in die bis dabin anfgestellte Scbablone geprefst werden, und somit war

38 Erstes Buch. Einleitendc. Untersuchungen.

die Wissenschaft vor die schwierige Aufgabe gestellt^ den Typiis selbst anders zu gestalten^ damit er auch neue, analoge Bildnngen in sich aufzunehmen irostande sei. Damit ist aber die frllhere Arbeit nicht vergebens gewesen; nur dafs dasjenige, was bisher *fUr eine Gattung gehalten wnrde, zu einer Art innerhalb der Gattung berabsinkt.

Die Typen selbst sind somit in den Flufs des bistorischen Gescbehens gestellt; sie variieren oach den besonderen geschicbt- lichen Umst^nden, komplizieren sicb, spalten sich in Arten und Unterarten. Damit wird die Wissenschaft vor eine neue Aufgabe gestellt, n^mlich die Bahn zu bestimmen, in der sich Um- and Ausbildung der einzelnen Typen bewegt. So entstehen fttr sie sowohl Typen der neben- als der nacheiuander existierenden Staaten und staatlicben Institutionen. Die Staatslehre wird daher Entwicklungs typen und Daseinstypen der staatlicben Erscheinungen zu suchen und zu finden haben.

Die derart erkannten Typen werden aber kraft der indivi- dualisierenden Elemente der Einzelerscheinung nicht mit voller Sch&rfe zam Ausdruck kommen. Abweichungen nach yerschiedenen Richtungen werden stattfinden, wie das im Wesen des empirischen Typus liegt, da dieser eben gewonnen wird durch die Heraus- hebung der gemeinsamen Merkmale, welche die grofse Mehrzahl der Einzelfdlle darbietet^). In diesem I'unkte stebt es ttbrigens mit den sozialen Erscheinungen nicht anders wie mit den natUr- lichen. Die einzelnen Individuen einer Tierspezies weisen bei aller Ubereinstimmung in wesentlichen Merkmalen doch wieder grOfsere oder geringere Abweichungen in anderen auf, bis zu den Mifsbildungen , die sich als vSllige Entartungen des Typus dar- stellen. Die Pathologie stellt bestimmte Krankheitstypen auf; nichtsdestoweniger verlaufen viele FSllle atypisch, und es werden die aufgestellten Typen auf Grund neuer Beobachtungen fort- wSlhrend korrigiert. Ohne Kenntnis derartiger pathologischer empirischer Tyj)en aber gabe es kein firztliches Wissen und Konnen. Httlt man sich diese moglichen Abweichungen vor Augen,

//

^) Insofern ist auch der enipirische Typus ein Ideal, allerdings ein Ideal des Seins, nicht des SeinsolleDden , ein logisches, kein ethisches Ideal, mid in diesem Sinne ist der Ausfuhrung von Max Weber, Die 1 1 .,Objektivitat" sozialwissenschaftlicher und sozialpolitischer Erkenntnis, \\ Archiv f. Sozialwissenschaft u. Sozialpolitik, XIX, S. 64 ff., zuzu- \\ stimmen.

Zweites Kapitel. Die Methodik der Staatslehre. 89

so bleibt man auch vor jener nicht selten gettbten pedantischen Kleinig- keitskrftmerei bewahrt, die eine staatsrechtliche oder politische Syn- these schon dann widerlegt zu haben glaubt, wenn sie nachweist, dafs sie anf den einen oder anderen nutergeordnelen Fall nicbt passe ^). Anderseits bewahrt die Erkenntnis, dafs es sich um empirische, nicht um Ideal ty pen handelt^ vor jenem praktisch ho schttd lichen Doktrinarismns , der die gegebenen Verhflltnisse nach einem Urbilde selbst dann umgestalten will, wenn sie einer derartigen Behandlung noch so sehr widerstreben ^).

Die wissenschaftliche Bedentang, welche dem Suchen nnd Gewinnen empirischer Typen zukommt, IttTst sich unter folgende Gesichtspnnkte zusammenfassen. Theoretisch befriedigt es vor allem das synthetische Bedtirfnis, welches die Vielheit der Eiv scheinnngen zu £inheiten zusammenzufassen bestrebt ist, darin mit den bdchsten Zielen der Wissenschaft Uberhaupt Uberein- stimmend. Aber nicht mir Klarheit und Rinheit in der Fttlle, sondem auch grtindliches Verstehen der Einzelerscheinung ist ihr Zweck, da diese erst dadurch gleichsam ihren Standort im ganzen Gebiete der sozialen Prozesse erhftlt. Durch die Aufzeigung der typischen Ele- mente wird ferner, wie bereits erwilhnt, auch die individuelle Eigenart

*) Auf die Typen in ihrem Verhaltnisse zum Eiuzelfall pafst das Wort des Julianas L. 10 D. de legibus 1, 3: Neque leges, neque senatus coosnlta ita scribi possunt, ut omnes casus, qui quandoque incidertnt, comprehendaDtur, sed sufficit et ea, quae plerumque accidunt, contineri. Es liegt uberhaupt im Wesen begrifflicher Erkenntnis, dafs sie indivi- duelle Abweichungen zugestehen mufs, die sie nicht zu erfassen ver- mag. Mit v5lliger Sicherheit kann nur das einmalige Geschehen (und anch das nicht in erschopfender Weise) festgestellt werden, alles Ab- strahieren aus den Fakten gibt uns Bilder, die sich nie voUig mit der Wirklichkeit decken. AUe Begriffsbildung ist Versuch, die unermefsliche Realitat so viel als moglich zu erfassen, und daher wird in alien mit Be- griffen rechnenden Wissenschaften unausgcsetzter Streit herrschen, ob die Grenze solcher M5glichkeit erreicht ist. Je weiter aber die Begriffe warden, desto mehr Einzelheiten mussen vernachlassigt werden. Wer von Bergesh5hen die Landschaft uberschaut, der sieht zwar in der Feme, was er vom Tal aus nicht erblicken konnte, aber die Grashalme der Wiesen sind ihm entschwunden. Der Grashalm ist gewifs emsigster Forschung wert, aber um ihn liegt eine unendliche Welt, in der wir uns orientieren miissen, die, mit dem Mikroskop betrachtet, ganz un- sichtbar wird.

*) Jede Formulierung eines Typus tragt daher stillschweigend die beiden Klauseln: „in der Kegel" und „rebus sic stantibus" in sich.

N

40 Erstes Buch. Einleitende UntersachungeiL

eineg jeden politischen Gebildes als des im Typns nicht enthaltenen Restes seiner Eigenschaften erkannt.

Nach der praktischen Seite bin aber zeigt sicb der Typas als heuristiscbes Prinzip. Aas ibm lassen sicb niimlicb im Einzelfalle mit grofser Wabrscbeinlicbkeit bestimmte Folgemngen fUr das Leben des individaellen staatlicben Pbitnomens ableiten. Gleicber Typus deatet auf analoge Gestaltung der so bescbaffenen Bildungen ancb fGir die Zukunft bin. Wenn man von den Lebren der Gescbicbte spricht, so bat roan damit bewnfst oder nn- bewnfst das tjpiscbe Element in den menscblicben Dingen vor Augen. Nur weil unter Hbnlicben Bedingnngen Abniicbes sicb wiederbolt, kann Uberbaupt die Gescbicbte znr Lebrmeisterin werden. Nur weil das staatlicbe Leben im VerHnderlicben Bleibendes anfweist, ist eine Politik im wissenscbaftlicben Sinne, eine Lebre von der vemttnftigen Gestaltung staatlicber Dinge, Uberbaupt m5glicb.

Die Typen, nacb denen die Staatslebre zu forscben bat, sind gemftfs den zwei wissenscbaftlicben Positionen, von denen aus der Staat betracbtet werden kann, der bistoriscb-sozialen and der juristiscben, doppelter Art. Daber sind aucb verscbiedene Motboden zur Erforscbung der einen und der anderen Seite des Staats- lebens notwendig. Das gesellschaftlicbe Wesen des Staates wird mittelst der in den bistorischen und Sozialwissenncbaften geltenden Methoden, das recbtlicbe Wesen bingegen mit der juristiscben Methode erkannt. Namentlicb Uber die bistoriscbe Metbode in der Staatslebre sind bier orientierende Bemerkungen notwendig, denen sicb einige Uber die juristische Bebandluug der allgemeinen Staatsrecbtslebre anzuschliefsen baben ^).

') Gegen die Aufgabe der Staatslebre, Typen zu finden, wendet sicb R. Scbmidt, Allg. Staatslebre, 11, 1,4903, S. 838, im Gegensatz zu seinen cigenen Ausfuhningen a. a. 0. I, S. 6. An ihre Stelle will er Staatscbaraktere oder Staatsindividualitaten setzen. Allein entweder ist das nur ein andercs Wort fur dieselbe Sache, oder es liegt darin eine Negation der allgemeinen Staatslebre selbst ausgesprocben. Ent- weder Typen oder zusammenbanglose Einzelbilder, ein Drittes ist methodisch unmoglich. Was Scbmidt a. a. O. zum Schlusse als Er- gebnisse seiner Darstellung bietet, sind denn aucb in der Tat Typen, iiber allerdings ganz verschwommener und unklarer Art, Ergebnisse, die im Vergleich mit der umfangreicben universalhistorischen Darstellung, die ihnen vorausgescbickt ist, doch recht durftig sind. tTberhaupt ist (Jnklarbeit uber Methode und Ziel der Staatslebre der Hauptfehler des auf so grofsem Material aufgebauten Werkes.

Zweitee Kapitel. EHe Methodik der Staatslebre. 41

5. Die Mstorische Forsehnnj^sweise in der Stutslehre.

Dmb die geschichtlicbe £rfor8chang einer Institufcion die not- wendige Voraussetzang ihres wissenschaftlichen VerstMndnisses sei, ist hente Ittngst zum Gemeinplatz geworden. Znerst war eg die historische Schnle der Bechtswisaenschaft, die diesen Satz aafgeatellt nnd befoigt hat, und an sie hat sich die historische Schnle der NationalOkonomie angeschlossen. UnUbersehbar fast ist das geschichtlicbe Material geworden, das dnrch emsige Arbeit Ton Generation en angehilnft wnrde. Trotzdem ist von Voll- stfindigkeit des Materials auch nicht anf begrenzten Gebieten die Rede, und diese wird auch niemals zu erreichen sein. Aber auch der Yorhandene Stoff ist kaum mehr zu bewttltigen; selbst die nur einem Einzelproblem zngewendete Forschung ist in Gefahr, yon der Masse der geschichtlichen Vorarbeiten erdrtlckt zu werden.

Da erhebt sich aber mit Notwendigkeit die krittsche Frage, inwieweit Kenntnis der Vorgeschichte einer Institution das Ver. st&ndnis ihrer gegenw&rtigen Gestaltung bedingt. Wenn die Antwort dahin ausfallen sollte, dafs nur aus dem lUckenlosen Wissen der Vergangenheit eine Erkenntnis der Gegenwart folgt, so wEre ein resigniertes Ignorabimus der Weisheit letzter Schlufs auf diesem Gebiete.

Diese trostlose Besignation wUre aber mit nichten die richtige Antwort anf diese kritische Frage. Das Entstehen und die Fort- bildung der historischen Forschungsweise h&ngt eng zusamraen mit dem fortschreitenden Siege der evolutionistischen Denkweise in der gesamten Wissenschaft. Ausdrttcklich oder unausgesprochen liegt aller geschichtlichen Denkungsart die t)berzeugung zugrunde, dafs die Geschichte uns nicht blofs eine Abfolge von Erscheinungen, sondem deren lebendige Ausgestaltung , ihr Wachsen und Ver- ^ehen, zu lehren babe. Damit scheiden sich aber die historischen Tatsachen fUr die theoretischen und praktischen Sozialwissen- schaften in wertvolle und wertlose, eine Scheidung, die natUr- Hch nur relativ ist und fUr jedes Wissensgebiet andere Resultate ergibt. FUr die Staatslebre, sofern sie den heutigen Staat erklftren will, ergibt sich aus dieser Erkenntnis folgendes:

Institutionen llndem sich, nicht jede Anderung aber ist eine Entwicklung *). Entwicklung ist nur jene Anderung, die vom

') Das Wort ^Entwicklung" geh&rt zu den vieldeutigsten unserer wissenscbafilichen Tenninologie ; vgl. Rickert, Die Grenzen uatiirw.

42 Erstes Buch. Einleitende Untersuchungen.

Einfachen zum Komplizierten fUhrt. Waclisende Grdfse, Zeit- dauer, IntensitUt einer Erscbeinung, steigende Manuigfaltigkeit, LeistangsfKbigkeit und Zweckmftfsigkeit einer Institntion nennt man deren Entwicklung. Hecbtlicbe nnd staatlicbe Institntionen ttndem sicb aber hUnfig blofs, obne sicb zu entwickeln, ja sogar, indem sie sicb zurttckbilden. Blofse Anderung liegt vor, wenn eine Einricbtung im Laufe der Gescbicbte ibren Zweck wecbselt. Denn Entwicklung sozialer Institute fordert Beibebaltung der frUberen neben neu binzutretenden Zwecken. Wo die Zwecke aber blofs wecbseln, da ist nur ein rein ftufserlicber Zusammenbang zwiscben mebreren zeitlicb auseinanderliegenden Erscbeinungen ^) vorbanden. Das mttgen einzelne Beispiele lebren.

Die beutige Urteilsjury ist aus der Beweisjury des nor- mRnniscben Recbtes bervorgegangen. Diese ist ursprilnglicb Beweis- zeuge, nicbt Beweisricbter. Im 16. Jabrbuudert bildete sicb in England diese Beweisjury zur Urteilsjury urn. Man beginnt nllmlicb vor der Jury zu beweisen, nacbdem deren eigene Keuntnis von dem Falle sicb als ungentigend berausstellt. Infolgedessen urteilt nunmebr die Jury nicbt auf Grund ibres Wissens, sondern auf Grund des zu ibrer Wissenscbaft Gebracbten. Die Institution der Urteilsjury wird sodann vom franzOsiscben Recbte rezipiert und dabei wiederum umgebildet nicbt fortentwickelt , indem sie bier unter anderem auf die Entscbeidung der Tatfrage be- scbrSinkt wird.

Das Haus der Lords ist der bdcbste Gericbtsbof des britiscben Beicbes. Desbalb konnten scbon im 14. Jabrbundert Anklagen gegen bobe Staatsbeamte, die das Haus der Gemeinen erbob, nur vor diesem boben Gericbtsbofe verbandelt werden. Das nord- amerikaniscbe Recbt bat diese Institution des Impeacbment rezipiert. Das ReprHsentantenbaus ist in solcbem Falle Klftger^ der Senat, die Representation der Staaten, Ricbter. Der Senat ist aber keineswegs oberstes Gericbt der Union *). Die engliscbe Institution

BegrifiFsbild. , S. 472 ff. Daher mufs jede Wissenschaft sicb zuvorderst iiber ihren EntwickluiigsbegriflF klar werden. Fur die Sozialwissen- schaften ist dieser nur als Wertbegriff in dem im Text gegebenen Sinne brauchbar.

*) Gute Auafuhrungen fiber die Zweckmetamorpbosen der Sitten bei Wundt, Ethik, 8. Aufl. 1903, I, S. 117 IF. Verkannt ist das Weaen der Rechtsentwicklung von Kobler, a. a. 0. S. 28, der sie der kon- stanten Anderung des Recbtes gleicbsetzt.

*) Bei dem Prozefs gegen einen Prasidenten der Union f&fart der

Zweites Kapitel. Die Methodik der Staatelehre. 43

ist daher von den Vereinigten Staaten umgebildeti nicht fort* gebildet werden.

Die Adoption ist wabrscheinlich im Zusammenhang mit dem Ahnenkultus entstanden. Weil uHmlich Familienmitglieder den Maneh der verstorbenen Ahnen das Mahl reichen mufsten, erscbien den ariscben Volkern Kinderlosigkeit als das gr^fste t)bel. Daber wurde eine kUnstlicbe Agnation gescbaffen, um die Kontinuitilt der Opfer nicbt zu nnterbrecben ^). Die Adoption bestebt aucb hente nocb fort. Sie bat sicb aber umgebildet, nicbt entwickelt, denn ihr beutiger Zweck stebt zu ibrem ursprttnglicben in keiner Beziebnng.

Die germaniscbe Ebe ist vermutlicb ursprtinglicb Raubebe, wird bieranf zur Kaufebe; an Stelle des Brautkaufes tritt spllter die Verlobnng mit der Braut^ der Kaufpreis wird zum Wittum. Zar Verlobnng gesellt sicb die Trauung durcb den Muntwalt der Brant, wodurcb der Briiutigam den Mnnt Uber die Braut erbftlt. Die katboliscbe Kircbe bat sodann KonsenserkUrung der Braut- lente in Gegenwart des Pfarrers und zweier Zeugen verlangt, woraus wiedernm die protestantiscbe und die bttrgerlicbe Form der Trauung bervorgegangen sind. Diese kircblicben und welt- licben Formen der Ebescbliefsnng sind aber nur Umbildung, nicbt Entwicklung des Ulteren Recbtes.

Dieser Zweckwandel sozialer Institutionen ist eine Erscbeinung von bOcbster Bedeutung. Je Alter nftmlicb eine Institution ist, desto wabrscbeinlicber ist es, dafs sie ibre ursprlluglicben Zwecke nicbt oder docb nicbt rein bewabrt hat. £s liegt in der Natur der Dinge, dafs man stets bestrebt ist, politiscbe und recbtlicbe Einricbtungen an die gegebenen YerbRltnisse anzuknUpfen, indem man sie dem jeweiligen neuen Zwecke anpafst. Ferner behaupten sicb bftnfig ZustHnde, wenn sie aucb lUngst nicbt mebr dem Zwecke dienen, der sie gescbaffen bat, kraft der Macht des sozialen Be- barrens oder der Interessen jener, die das zweckwidrig Gewordene zu ibrem Vorteil festzubalten verstehen. Beispiele fttr beide FUlle drSngt scbon jede oberfllicblicbe Betracbtung der Gescbicbte Qffent-

Oberrichter der Union den Vorsitz, was wiederum nur eine aufserlicbe Anlebnung an die englische Institution ist, der gemafs beim Impeach- ment nicht, wie gewdhnlich, der Lordkanzler, sondern der Lord High Steward dem Oberhause prasidiert.

') Vgl. Fustel de Coulanges, La cit6 antique. 11. M. 1885, p. 55ff.; E. Robde, Psyche, 2. Aufl. 1898, S. 251 f.

44 Erotes Buch. Einleitende Unteraachungen.

licher Institntionen in reicher Ftllle auf. So hat sich die arsprftng- lich persOnliche Amtsgewalt des Orafen zu erblicher Landeshofaeit amgebildet; aus dem SchntzverbftltaiSy in das der kleine znm grofsen Omndbesitzer tritt, entstebt die Unfreibeit, der scbliefslich keine Gegenleistang znteil wird; aus der freiwilligen Gabe der Stttnde wird die einseitig vom Staate auferlegte Steuer; aus den Bitten and Bescbwerden der engliscben BeicbsBtHnde das konsti- tutionelle Gesetz ; Georgs I. Unkenntnis der engliscben Spracbe and seine darans folgende Unf^bigkeit, dem Kabinettsrate zn prftsidieren bat dabin gefUbrt, dafs alle folgenden engliscben Monarcben von den Beratangen des Kabinetts femgebalten werden nsw.

Die Einsicbt in das Wesen des Zweckwandels ist fUr Mafs and Art der gescbicbtlicben Erforscbang gesellscbaftlicber Insti- tntionen nacb vielen Ricbtangen entscbeidend. Sie lebrt znnttcbst, dafs znm VerstHndnis des Wesens einer gegenw&rtigen Er- scbeinung nicbt die Eenntnis ibrer ganzen Yergangenbeit geb($rt. Erst von da angefangen, wo ibre beatigen Zwecke sich znerst zeigen, wo also ein lebendiger Zasammenbang mit der Gegenwart beginnt, f&ugt ibre Entwicklung an, die sie uns besser verstebeu lebrt. Was vor dieser Entwicklnng liegt, dient nicbt mebr der wissenscbaftlicben Erfassung der Gegenwart. Wenn icb den Ursprnng der Adoption aus dem Abnenknlt erkaunt babe, so wird mir das Wesen der beatigen Adoption um nicbts yerstttndlicber, da jeder lebendige Zasammenbang der Gegenwart mit jenen ent- scbwnndenen religid'sen Znstllnden mangelt. Ebensowenig sind die Forschungen ttber Ranb- and Raafehe fUr die Erkenntnis unserer beatigen Ebe von Bedentang.

Damit soil natUrlich der bobe selbstfindige Wert solcber gescbicbtlicben Untersncbangen nicbt im geringsten bestritten werden^ wie nicbt minder ibre nmfassende Bedentang fUr andere Wissensgebiete. Indem sie nns den Ursprnng der sozialen Er- scbeinnngen lebren, weisen sie ja deren durcbg&ngige Bedingtbeit von den mannigfaltigsten natUrlicben , psycbologiscben , etbiscben Ursachen and Umst&nden nacb. Aber sie dienen docb wesentlicb dem Verstandnis der Vergangenbeit , nicbt dem der Gegenwart. FUr dieses genllgt die Kenntnis der Entwicklnng. Was ibr nicbt frommt; gebttrt aaf dem uns beschllftigenden Gebiete zu den Becbts- and StaatsaltertUmern, nicbt zur Recbts- and Staats- gescbicbte. Unter dem pragmatiscben Gesicbtspunkte der Er- klUrung der lebendigen Einricbtangen scheidet aus dem gescbicbt-

Zweites Kapitel. Die Methodik der StaatBlehre. 45

lieben Stoffe eine grofse Menge aas, die htfchstens toten Ballast, aber keine vorwilrtstreibende Kraft %u bilden Termag.

Aucb nach einer anderen Richtnng bin lebrt die ErscbeinuDg defl Zweckwandels y stch zn bescbrilDken and zn bescbeiden. Es gebt nicbt an, beutigen Institutionen entscbwundene , darcb ge- scbicbtlicbe Forscbnng konstatierte Zwecke wieder bewafst darch gesetzgeberische Tiitigkeit einzufl^Jfsen oder verloren gegangene Einricbtangen mil Rilcksicht auf ihre kSblichen Zvecke obne weiteres ztt erneuern. Mystiacb nnd unklar ist die Lebre, die meint, ein Volk brancbe sicb nor aaf seine Vergangenbeit zu besinnen, am kraft der Einbeit seines gescbicbtlicben Lebens Dabingegaugenes zn neuem Dasein zu erwecken. Aus diesem Irrtnm sind ja die meisten praktiscben SUnden der bistoriscben Schnle zu erklHren. Nnr wo das Volksleben der Gegenwart in gedeiblicber Weise Institute der Vergangenbeit in sicb aufuebmen kann, wird der Yersucb einer solcben Erneuerung gelingen. Sie ist aber keineswegs Fortentwicklung, sondern Rezeption des Ver- gessenen und daher Fremdgewordenen, das in diesem Rezeptions- prozefs yermdge der geKnderten UmstHnde, die ibn begleiten, obne Wandel des ursprUnglicben Zweckes nur selten durcb- zufllbren ist.

Aber aucb manche der letzten nnd bJ5cbsten Priuzipienfragen der Sozialwissenschaften erhalten durcb die Einsicbt in das Wesen des geseliscbaftlichen Zweckwandels eine Belenchtung, die zu- gleich ilberrascbt und aufklHrt. Namentlicb gilt das ftlr die grundslltzlicbe Auffassung der ganzen sozialen Entwicklung Uber- haupt und der Staats- und Recbtdgeschicbte insbesondere. Von alters ber steben sicb bier zwei Grundanschauungen schrofT gegentlber. Die eine, heute fast gftnzlicb verlassen, bebauptet bewnfste prim Are ScbGpfung des Staates, des Recbts, der sozialen Institutionen , die andere , heute berrschende , sieht in diesem Prozefs einen natttrlichen , von bOberen, dem Individuum un- erscbtttterlicb gegentlberstehenden Krilften beherrschten Vorgang. Beide prinzipielle Anscbauungen baben unrecbt. Die erste stellt sicb in scbroffen Gegensatz zu aller gescbicbtlicben Erkenntnis, wenn sie den isolierten, bisber von der Kultur gar nocb nicht be- rtlbrten Menscben mit klarem, zwecksicberem Bewulstsein das scbaffen lUliBt, was nur der Niederscblag der Erkenntnisse von Jabrtausenden sein kann. * Der Mangel der Erkenntuis des Zweck- wandels der sozialen Institutionen ist einer der Grundmttngel des

46 Erstes Buch. Einleitende Untersucbungen.

Naturrecfats gewesen. Aber deraelbe Mangel haftet in entgegen- gesetzter Richtung der anderen Theorie an. ludem sie die natttr- liche Scb(5pfung von Staat und Recht behanptet, sei es aus einem mystiscben Yolksgeiste, sei es durch die Wirkung blinder Macht- verbMltnisse, Ubersieht sie die fundamentale Tatsache, dafs keine Institution obne menscblicben zweckbewufsten Willen entsteben kann. Die Befriedigung des Nahriings-, Wohnungs-, Sicberbeits- bedUrfnisses auch der unkultiviertesten Vdlkerschaften vollziebt sicb stets im Licbte des Bewufstseins. Alle Institutionen und BrUucbe solcber YOlkerscbafteu baben ursprUnglicb stets einen bewufsten Zweck, der vielleicbt tOricbt und scbUdlicb, aber mit psycbologiscber Notwendigkeit da ist. Neuere Forscbungen baben ja in diesem Bercicbe umfHnglicbes Material gesammelt. Selbst- verstUndlicb aber ist die bewufste Absicbt unkultivierter Epocbeu nicbt auf das gericbtet, was erst die an sie sicb allmllblicb an- scbliefsende Kultur gezeitigt bat. Die einmal gescbaffenen Insti- tutionen, Sitten, Gebrttucbe ttndern allmftblicb ibre Zwecke; neue Zwecke treten binzu und Uberwiegen bttufig die alten gftnzlicb oder drUngen sie in den Hintergrund, und so entsteben durcb entwickelnde und ttndernde Zweckwandlung Einricbtungen , wie 4 sie die Yorzeit nicbt einmal geabnt bat. Es greift daber das, was mit Bewufstsein gescbaffen wurde, im Laufe der Entwicklung weit tlber das scbaffende Bewufstsein binaus, und nur insoweit ist die Bebauptung ricbtig, dafs Staat und Recbt in ibren Grund- lagen nicbt bewufste Menscbenscb5pfung seien.

Die Yorstellung, dafs die Staatsscb^pfung zugleicb unbewufster und docb im Licbte des Bewufstseins sicb vollziebender Yorgang sei, bat bereits den grofsen Denkern der Hellenen vorgescbwebt, die berkOmmlicbe oberflftcblicbe Darstellung als die Scbopfer der Tbeorie der ausscbliefslich natUrlicbeu Staatsscbopfung bezeicbnet. Fttr Plato und Aristoteles ist der Staat nicbts Willktlrlicbes. Menscb sein und im Staate leben, wareu ftir sie untrennbar miteinander verkntlpft. Gleicb den Elerdentieren oder vielmebr noch stftrker zeigt nacb Aristoteles der Menscb von Natur aus den Cbarakter als geselliges Wesen. Der Staat ist genetiscb frtiber da als das Individuum, da der Teil nur aus dem Ganzen beraus begriffen werden kann, und was aufserhalb des Staates lebt, ist entweder ein Gott oder ein Tier. Nicbtsdestoweniger aber lassen diese Deuker den Staat historiscb durch zweckbewufste Handlungen der Individuen entsteben. Die Arbeitsteilung zwingt nacb Plato die

Zweites Kapitel. Die Metiiodik der Btaatslehre. 47

von diem Ergllnzungsstreben beherrschten Menschen, zusammen- zntreten^), and nach Aristoteles Bind es die trotz aller Herden- gefhhle znn&chst vereinzelt lebenden Menschen'), die, von sozialen Instinkten geleitet, zuerat das Hans grttnden, sodanu die Dorf- gemeinde und schliefslicb den Staat, in welchem das menscblicbe Ergllnznngsstreben seine voile Befriedigung findet. ObwobI der Trieb und die Anlage zum Staate alien Menscben gemeinsam sei, preist er dennocb denjenigen als den gr5fsten Wobltftter der Menscben, der den Staat znerst znstande gebracbt bat®). In dem so gegrllndeten Staat aber iindet sofort eine Entwicklnng dnrcb Bereichernng des nrsprUnglicben Zweckes statt. Entstanden am des blofsen Lebens willen, bestebt der Staat toS ev ltjv IVexa, des vollkommenen Lebens wegen.

Die Lebre von der sozialen Zweckwandlung beleucbtet aucb klar den Irrtum der Lebre von der organiscben Entstebnng und Ansbildung sozialer Erscbeinnngen. In der Regel nimmt man organiscben Ursprung und Werden einer Institution an, wenn man den Hergang dieses Entstehens und Werdens nicbt oder nicbt nliher kennt. Weil wir nicbt wissen, wie sicb die Sacbe zu- getragen bat, meint man, dafs das Bewufstsein an dem Hergang ttberbaupt keinen Anteil babe. Je ferner iins ein bistorischer Prozefs liegt, je weniger Urkunden ttber ibn in seinen Einzel- heiten vorliegen, desto mebr dient er den Anbttngem einer organiscben Staats- und Gesellscbaftslebre zum 3eweis ibrer Hjpothesen. Was bingegen im Licbte des historiscben Bewufst- seins, also namentlicb in der neuesten Zeit entstanden ist, das wird bftufig als unorganiscb bezeicbnet und damit verworfen. Die alten Institutionen sind aus diesem Grande bftufig die organiscben, die neuen, deren Entwicklungsprozefs klar zutage liegt, die mecbaniscben. Je weiter aber bistoriscbe Forscbung dringt, desto mebr bestlitigt sie uns das, was selbstverstttndlich sein sollte, dafs alle Institutionen bewufsten Willensakten ibren Ursprung ver- danken, durcb Zweckwandel jedocb von ibrem ersten Entstebungs- grund sicb losldsen und dadurcb den Anschein von Bildungen erlangen, deren Dasein vom menscblichen Will en unabbftngig ist.

>) Rep. II, 369 flf. Vgl. aucb Gomperz, II, S. 370 f. *) y^anoQcii^s yoQ. xal ovru to dq^aTov ^ixovT^ Pol. I, 2 1252 b, 24 Bekk.

*) n^vifH fxiv ovv ri OQfiri iv naaiv inl Trjv Totaurr^v xoivtoviaV 6 61 VQwtog avoTi^attg fnyCaxtov aya^6iv afrtos.^ ib. 1253 a, 30.

48 Erates Bach. Einleitende Untersuchungen.

Neben der Anderuiig durcb Zweckwandel wirkt aber noch ein anderer Umstand auf die eigenttiinlicbe Ausgestaltung sosialer Institntionen. Wenn nflmlich aacb die HandloDgen notwendig einen Zweck haben, so wirkt doch nicht jede Handlung den yor- gesetzten Zweck oder ausschliefslicb diesen Zweck aus. Jede Handlung kann soziale Wirkungen baben, die sicb nicht be- rechnen, ja oft nicht einmal ahnen lassen. Kraft der ungeheuren Mannigfaltigkeit und Verwicklung der sozialen Verhftltnisse ist menschliches Tun auch die Quelle unbeabsichtigter Wirkungen. Die Wirkungen neuer Rechtasfttze, nener Beh($rden, neuer Steuem, der Haltung parlamentarischer Parteien, eines Handels- vertrageSy eioer Kriegserklttrung ^ einer Gebietszession , eines Friedensschlusses usw. lassen sich zum Toraus niemals ganz be- rechnen. Alle diese Vorgftnge baben n&chste, unmittelbare Zwecke, die ihren Urhebern wohlbewufst sind. Nicht aber k5nnen diese wissen, ob sie diese Zwecke auch erreichen, ob nicht anderes, ErwUnschtes oder UngewUnschtes daraus entsteht. Ja, bei der inneren Verkettung alles sozialen Geschehens kann die Wirkung eines fUr seine Urheber streng teleologisch determi- nierten historischen Aktes liber alles Mafs des der Ahnung Zu- g&nglichen hinausgehen. Man denke nur an die grofsen £nt- scheidungsschlachten der Weltgeschichte , deren Folgen in dem ganzen ferneren Verlauf der Menschenschicksale in einer den KUmpfern notwendig verborgenen Weise zutage treten. Jede neue technische Erfindung hat unberechenbare Wirkungen, jeder Fortschritt in der wirtschaftlichen Produktion zeitigt neben den beabsicbtigten gUnstigen auch unbeabsichtigte schttdliche Folgen fUr das Ganze der Volkswirtschafl.

Diese unbeabsichtigten und unberechenbaren Wirkungen sozialer Institutionen verstllrken den Eindruck, dafs ihre SchOpfung, namentlich wenn uns die genaue Kenntnis des Beabsichtigteu und Unbeabsichtigten mangelt, dem menschlichen Willen flber- haupt entrtickt und daher ein natUrlicher, organischer Vorgang sei. Allein solches „NatUrliche und Organische" haftet jeder, auch der unbedeutendsteu und verkehrtesten menschlichen Handlung an. Alles Wollen ruft niemals vdllig zu berechnende Verllnderungen in der Aufsenwelt hervor und ist deshalb zu- gleich vernllnftige und unvernttnftige Naturkrafk. Die Verehrung frommer Pilger weiht dem Heiligen demutsvollen Kufs, dem Meisterwerke Michel Angelos in einer der r5mischen Kirchen

Zweites Kapitel. Die Methodik der Stafttslehre. 49

liat dieser KoIb im Laufe der Jahrhunderte eine Zehe ge- ranbt.

An anderer Stelle ist zn ertfrtem, welcbe Bedeatnng ttber- dies die Gewtthnnng entwickelt, die soziale and staatliche Ein- ricbtangen als dem Willen entrttckte fiildungen eracbeinen lilfst. Je iKnger eine Institution dauert, desto scbwieriger wird es in der Mebrasabl der Flllle, sie sa verHndem. Trotzdem erfordert Bie stets bewnfste Willensakte, am za existieren. Sie ist ja im Grande nicbts anderes als eine Samme planmttTsig zasammen- gestimmter menscblicber Willensaktionen.

6. Die jnristische Methode in der Staatslehre ^).

Sie gilt fUr die Feststellang der Sfttze der Staatsrecbtslebre und ftir die Entwicklang des Inhaltes dieser Recbtssfttze. Die Staatsrecbtslebre ist, wie bereits erwttbnt, eine Normwissenscbaft. Ibre Normen sind von den Aassagen Uber das Sein des Staates als sozialer Erscbeinung scbarf zn trennen. Ein gro(ser Teil der metbodiscben Streitigkeiten im Staatsrecbt rttbrt aus der Unklar- heit uber die Doppelnatnr des Staates and dem daraus stam- menden Gegensatz der sicb mit dem Staate bescbttftigenden Wissenscbaften ber.

Mit dieser Erkenntnis sind alle Cbertragungen von fremden Forscbnngsmetboden anf das jaristiscbe Gebiet der Staatslebre znrtlck- and dem sozialen Gebiete zugewiesen. Diesem letzteren geb^rt aacb das Recbt in seiner Eigenscbaft als soziale Funktion an. Gescbicbte and Sozialwissenscbaft sowie Politik sind aacb dem Recbte, seiner Entstebang, seiner Eutwicklung, den in ibm wirkenden wirtscbaftlicben ^ etbiscben, nationalen Ideen, seiner Wirkang aaf das gesamte Volksleben zugewendet. Allein der dogmatiscbe Gebalt der Recbtsnormen kann nur durcb die aas- schliefslicb vom Jaristeu geUbte Kunst der Abstraktion ans den rechtlicben Erscbeinnngen and der Deduktion aus den also ge- faodenen Normen geUbt werden. Diese Recbtsdogmatik ist durcb andersgeartete Wissenscbaft nicbt zu ersetzen. Dafs einseitige Dogmatik aber, die sicb anmafste, das Ganze zu erfassen, dieses Ziel verfeblte, dafs sie der ErgHnzung durcb die anderen dem

^) Vgl. meine eingebenden Ausfuhrungen im System der subj. off. Rechte, S. 13 ff.

Jellinek, Dmi Seoht des modemen Staates. I. 2. Aufl. 4

50 Erstes Buch. Einleitende UntersuchungeD.

Staate zugewandten Disziplinen zu gedeihlicher Forschung be- nOtigt, bedarf nach dem Vorangehenden keiuer nllberen Aus- fllbrung mehr.

Alle Untersnchungen ilber empirische, biologische, natur- wissenschaftliche, soziologische Bebandlungsweise des Staatsrechtes betreffen in Wahrbeit die soziale Staatslebre. Filr das Staats- recbt gilt aber nnr die jnristiscbe Method e. Die mufs sicb jedocb den EigentUmlicbkeiten des OfFentlicben Recbtes anpassen. Juristisch ist nicbt gleicbbedeutend mit privatrecbtlieb. Un- kritiscbe Cbertragung privatrecbtlicher Begriffe ins (jffentlicbe Recht ist gewifs ein metbodischer Febler, obwobl es zweifellos allgemeine Recbtsformen gibt, die alien Recbtsgebieten gemeiusam sind. Nicbtsdestoweniger ist es unricbtig, von privatrecbtlicber oder staatsrecbtlicber Metbode zu sprecben so wenig es inner- balb der Naturwissenscbaft eine ganz selbstftndige mecbaniscbe und cbemische Metbode gibt. Vielmebr bat die einbeitlicbe juristiscbe Metbode sicb wie jede Metbode den Verscbieden- beiten des zu bew&ltigenden Materials anzupassen. OfFentliche Recbte und RecbtsverbUltnisse sind anders geartet als private. Diesen Gegensatz des Stoffes nicbt zu verwiscben , sondern zu beacbten^ ist ein Gebot geklttrter juristiscber Forscbung. Wenn es nicbt inimer befolgt wird, so beweist das nicbts gegen die Einbeit der Metbode , sondern nur gegen ibre durcbgHngig ricbtige Anwendung.

Die Grenzen der juristiscben Untersuchung in der Staats- lebre ergeben sicb durcb deren Zweck. Dieser ist aber in der gesamten Jurisprudenz gericbtet auf Gewinnung praktiscber Mog- licbkeit, das tatstlcbliche Leben recbtlicb zu beurteilen. Alle Konstruktionen , die nicbt irgeudwie diesem praktiscben Zweck zu dienen imstande sind , baben keinen wissenschaftlicben Wert. Es gibt keine Jurisprudenz, die um ibrer selbst willen getrieben werden kSnnte, wie eine rein tbeoretische Disziplin, die deu Erkenntniswert in sicb trSgt.

Darum ist staatsrechtlicbe Jurisprudenz wesentlicb der Gegen wart zugewendet. Die Vergangenbeit kaun juristiscb nur so weit untersucbt werden, als es das Verst^ndnis der bistoriscbeu Probleme erfordert. Eingebende Erorterung von Kontroversen etwa des roniibcben oder des alten Reicbsstaatsrecbtes , obne jede lebendige Beziebung zum beutigen Recbt nacb streng juristiscber Metbode, die ja in erster Linie kilnftige Fttlle

Zweites Kapitel. Die Methodik der Staatslehre. 51

des Zweifels and Streites entscheiden lehren sollf wlire ver- gebliche, den Spott herausfordernde MUho, well jede MOglichkeit fehlty die erstarrte Vergangenheit durch bessere, der Gegenwart entstammende Kenntnis za reformieren. Es gibt kein Sein- soilendes nach rUekwftrts, und darum bescbftftigt sich auch die Rechtsgeschicbte mit dem, was tatsHchlich war, nicht mit deni| was htttte sein sollen oder k(5nnen.

Drittes Kapitel.

Die Geschichte der Staatslehre *).

Die Staatslehre ztthlt zn den iiltesten wissenscbaftlichen Disziplinen. Sie bildet bereits einen bOcbst bedeatsamen , wohl- entwickelten Zweig der helleniscben Wissenschaft.

1) Literatur: Die gesamte Geschichte behandelnde Werke : Glafej, Vollstandige Geschichte des Rechts der Vemunft, 1739; Weitzcl, Geschichte der Staatswissenschaft , I, II, 1832—33; Fr. J. Stahi, Die Pbilosophie des Rechts, 4. Aufl., I, 1870; Ahrens, Naturrecht oder Philosophic des Rechts und des Staates, 6. Aufl. 1870, I, S. 13—212; R. v. Mo hi, Die Geschichte und Literatur der Staatswissenschaften, I, 1855, S. 217—264; F. v. Raumer, Ober die geschichtliche Entwicklung der Begriffe von Recht, Staat und Politik, 8. Aufl. 1861; Janet, Histoire de la science politique, I, II, 3. ^d. 1887; Pollock, An intro- duction to the history of the science of politics, London 1893; Rehm, Geschichte der Staatsrechtswissenschaft (Handb. des 5ff. Rechts, £in- leitungsband, I), 1896; Derselbe, Allgemeine Staatslehre (Handbuch des off. R., Einleitungsband, II), 1899, S. 209ff.; Gumplowicz, Geschichte der Staatstheorien , 1905. Einzelne Epochen dargestellt von Hilden- brand, Geschichte und System der Rechts- und Staatsphilosophie , 1, 1860 (Altertum); Gomperz, Griechische Denker, I, 1896, II, 1902; Gierke, Das deutsche Genossenschaftsrecht, III, 1881: Die Staats- und Korporationslehre d. Altertums und Mittelalters; Ders. , Johannes Althusius und die Entwicklung der naturrechtlichen Staatstheorien (Mittelalter und Neuzeit); Ad. Franck, R^formateurs et publicistes de I'Europe, moyen age-renaissance, 1864, dix-septi^me si^cle, 1881, dix- huiti^me si^cle, 1893; Bluntschli, Geschichte des allgem einen Staat s- rechts und der Politik, 2. Aufl. 1867. Seit dem 16. Jahrh. bis zur Gegen- wart, 2. Aufl. 1867; Gothein, Renaissance und Reformation im HWB. der Staatswissenschaften, 2. Aufl., VI, S. 35 ff.; J. H. Fichte, Die philosophischen Lehren von Recht, Staat und Sitte in Deutschland, Frankreich und England, von der Mitte des 18. Jahrh. bis zur Gegen- wart, 1850; Vorlander, Geschichte der philosophischen Moral, Rechts- und Staatslehre der Englandcr und Franzosen, 1855; G. Koch, Bei- trlige zur Geschichte der politischen Ideen, I, II, 1892—1896; H. Michel »

Drittes Kapitel. Die Geschichte der Staatalehre. 58

Das h&ngt mit der ganzen Weltanschauung der Oriechen zusammen. Da der Staat nicht nur politische, sondem auch religiose Gemeinschaft war, so ist den Griechen die L5snng der ethischen Fragen sireng mit der der politischen verbunden. Ein vom Staate gftnzlicli losgeldstes oder im Staate diesem selbstiiudig gegentiberstehendes Gemeinleben ist fUr sie nicbt vorhanden. Da nun die ethischen Problem e an Interesse bald alle tibrigen ttber- ragen und schliefslich sogar zurttckdrlingen , so stehen mit ihnen anch die Grundfragen der Staatslehre im Yordergrund der Forschung. Gemftfs der auf das Praktische gerichteten Tendenz der ethischen Spekulation sucht die Forschung zuerst Grundsiltze f^r das politische Handeln zu gewinnen. Die Nachrichten tlber die Anf^nge des politischen Denkens zeigen uns dieses im Suchen nach einem Mafsstabe fUr die Beurteilung des Gegebenen be- griffen, den die einen in der Natnr, die anderen in der mensch- lichen Satzung finden. In dem Kampf der Meinungen handelt es sich aber in erster Linie um die Frage, wie der Staat am zweckmftfsigsten zu gestalten sei, und welche Stellung das Indi- Yiduum zu ihm einzunehmen habe. Damit ist die Grundlage ftlr jene Richtung in der Staatslehre gegeben, die als deren vor- nehmstes Objekt die Erforschnng des Idealtypus des Staates be- trachtet. Nicht: Was ist der Staat? sondern: Wie soil er be- schaffen sein? lautet die erste Frage, die dem wissenschaftlichen Bedtirfnis nach staatlicher Frkenntnis entstammt. Schon yon MSLnnem, die nicht unter dem Einflusse der sokratischen Lehre standen, wie Phaleas von Chalkedon und Charondas von Milet, sind Fragmente der Konstruktion von Staatsidealen ttborliefert. In der Bltitezeit der griechischen Philosophie aber steht der beste Staat als vornehmstes Objekt der politischen Spekulation da. Am klarsten tritt dies hervor bei Plato, dessen grolse politische Werke der Darstellung des besten und des nUchstbesten Staates gewidmet sind. Auch bei Aristoteles ist nach der ganzen Anlage seines Systems die Erkenntuis des besten Staates das letzte Ziel der ganzen staatswissenschaftlichen Forschung: der Staaty der den ihm einwohnenden Zweck am besten erf til It, bildet,

L'id^e de I'^tat. Essai critique sur Thistoire des theories sociales et politiques en France depuis la revolution, Paris 1895; W. A.j^unning, A history of political theories ancient and mediaeval , New York 1902 ; R, W. and A. J. Carlyle, A history of mediaeval political theory in the West, I, Edinburgh and London 1903.

JT'

54 Erstes Buch. Einleitende Untersuchungen.

wie daB sittlich ErstrebensTverte tiberhaupt, den wichtigsten Gegenstand der praktischen Erkenntnis. In den nacbaristoteliscben Scbulen bis zu den letzten Auslftuferu der antiken Staatswissen* scbaft ist gemUfs der diesen Sy&temen innewohnenden Tendenz das theoretiscbe Interesse an der Erkenntnis gHnzlicb gescbwnnden nnd yielmehr das praktiscbe politiscbe Interesse des Individuums in den Vordergrund gerUckt. Dam it ist von nenem das Staats* ideal vornehmster Gegenstand der Forscbung geworden. Wie mufs der Staat bescbafien sein, an dem der Weise teilnebmen kann? lautet die politiscbe Grundfrage der nacbaristoteliscben Staatswissenscbaft.

Neben dieser auf den staatlieben Idealtypns gerichteten Speknlation gebt aber einber eine der staatlieben Wirklichkeit zugewendete Ricbtung. Das Ideale kann ja von Grnnd aus nur erkannt werden durcb seinen Gegensatz. Die RealitUt mit ihren Feblern mnfs dem lebendig vor Augen steben, der bessern soil. Obne Kritik des Gegebenen ist keine Anderung der Institutionen mOglicb. Solcbe, zunUcbst wobl nicbt systematiscbe und scbul- gerecbte Kritik war bei der reicben Entfaltung des atbeniscben Offentlicben Lebens selbstverstttndlicb. Namentlich die Sopbisten haben nicbt nur tiefeinscbneidende Kritik geUbt, sondem aucb eine Lebre vom realen Staate entwickelt. Mancbes, was der platoniscben nnd aristoteliscben Staatslebre zugescbrieben wird, dflrfte aus der fritberen Zeit stammen, deren politiscbe Literatnr uns leider nur in wenigen BrucbstUcken aufbewabrt ist*).

Es finden sich bereits bei Plato eingebende ErOrterungen, die der Erkenntnis des Werdons, Seins und Wandelns der vor- bandenen Staaten gewidmet sind. In energiscber und folgen- reicber Weise wendet sicb aber Aristoteles, der das ganze Gebttude der praktisclien Wissenscbaften auf der Erforscbung des Gegebenen erricbten will, der sorgfftltigsten Untersucbung der vorbandenen Staatenwelt als einer unumgHnglichen Vorarbeit ftir die Ldsung iener bocbsten praktisclien Fragen zu. Damit wird er der Scbtfpfer der systematiscben wissenscbafilicben Staatslebre, die als tbeo- retiscbe Wissenscbaft neben der praktiscben Politik stebt, die cin nocb nicbt seiendes Bestes zu verwirkliclien sucht. In grtind- licber Weise werden die empiriscben Typen der damaligen Staaten- welt aufgesucbt und ihre Unterabteilungen festgestellt , da die

>) Vgl. R eh 111, Geschichte, S. 14 ff.

Drittes Kapitel. Die Gescbichte der Staatslehre. 55

Wirkung individualisierender Faktoren wohl erkannt und be- achtet wird. Nicht nur Typen des Daseins, sondern aucfa der Lebensprozesse der Staaten warden aufgestellt; das Staatsleben wird nnter bestimmten teleologischen Gesichtspunkten betrachtet and damit der Grund zit einer wissenschaftlich vertieften Real- politik gelegt. Die einzelnen Disziplinen der Staatslehre werdeu aber noch nicht unterschieden ; vielmehr sind alle Betrachtungs- weisen des Staates in der Politik vereinigt. Dieses Wort be- dentet, wie bereits erwftbnt, im Griechischen Lehre von der Polis, ist nicht mit nnserem Terminus Politik zu identifizieren, sondern mit Staatswissenschaft zu Ubersetzen.

Einzelne der Staatslehre zuzuz&hlende Untersuchungen sind anch noch in der spttteren autiken Literatur vorhauden, so vor allem die allerdings auf die politische Apologie des rOmischen Staates hinauslaufende Skizze der Staatslehre bei Poly bins, wie denn anch bei Cicero sich manche, meist der griechischen Lehre entlehnte Bemerkungen iiber Staat und Staatsformen finden.

Die Literatur der christlich-mittelalterlichen Epoche ist von dem Gedanken einer wissenschaftlichen Staatslehre weit entfernt. Noch mehr als dem Altertum erscheint ihr das Seinsollende als das Wissenswiirdigere gegentiber dem Seienden. Die realen politischen Verhftltnisse , der Ban der gleichzeitigen Staatenwelt liegt ihrer Betrachtung so fern, dafs man aus ihr von den eigen- tttmlichen Institntionen jener Zeiten nichts oder nur sehr wenig erfkhrt. Was nicht die grofse rechtliche and politische Frage des Zeitalters, die Stellung der weltlichen zur geistUchen Gewalt bertlhrt, wird in seiner Eigenart nicht beachtet. Es sind wesent- lich die aus dem Altertum tlberkommenen Begriffe und Schablonen, die in dieser Literatur variiert werden, soweit sie Uberhaupt in den Rahmen der christlichen Weltanschauung passen. Dazu kommt aber noch der Einflufs rCmisch-rechtlicher Vorstellungen, die, niemals ganz erstorben, dem allgemeinen Bewufstsein durch die Legisten vermittelt werden. Der Ausbildung einer selb- stflndigen Staatenwissenschaft ist vor allem hinderlich der Mangel eines offiziell anzuerkennenden Staates. Das alte r()mische Welt- reich hatte in Form des von Kaiser und Papst beherrschten mittelalterlichen Reiches seine Fortsetzung gefunden, in welchem die einzelnen Glieder nicht als Staaten im vollen Sinne gelten konnten. So hat denn das Mittelalter eine an politischen Er-

56 Erstes Buch. Einleitende Untersachungen.

orterungen reiche, an selbstAndigen theoretischen Btaatswissen- schaftlichen Untersuchungen and Resultaten arme Literatur.

UnabhMngig von dieser Literatur erhebt sich aber eine neae, die der Jurisprndenz. Sie ist ihrer Natur uach den realen 6e- staltungen des Lebens zugewendet. Thr fehlt als Objekt der klare, in den gegebenen VerhlLltnidsen begrttndete StaatsbegriflP. Daftlr ist sie aber dem reicben weltlichen and kircblichen Ge- nossenschaftswesen jener Zeiten zngekebrt. Die romanistische and kanonistische Korporationstbeorie , anf deren Bedeatnng in der Geschichte der Staatslehre hingewiesen zn baben das grofse Verdienst Gierkes ist, enthftlt tiefgreifende £r5rterangen , die spftter in der selbstllndig gewordenen Staatslebre fortgebildet werden. Diese Korporationslebre vollzieht einen gewaltigen Urn- scbwung in der ganzen wissenscbaftlicben Stellung der theoretiscben staatlicben Probleme. Hatte das Altertum und die anf seiuem Grunde stebende scbolastische Literatur den Staat in letzter Linie als ein zu verwirklichendes Ideal aufgefafst, mttndet also ibr ganzes staatswissenscbaftlicbes Deukeu in politiscbe Untersucbungen , so wird bier eine rein tbeoretiscbe Anscbauung vom Staate vor- bereitet, die ibn wesentlicb als Recbtsgebilde erkennt. Die Lebre vom Staate wird damit ein Teil der Recbtswissenscbaft, ein Ge- danke, der dem Altertum ferngelegen bat. Ist aucb die £r- kenntnis eines selbstttndigen ius publicum r^miscben Ursprungs, so mangelten dennocb in der juristiscben Literatur der R<5mer alle nRheren Untersuchungen Uber den status reipublicae, auf den sicb jenes Reclit bezog. Die Hellenen bingegen waren nie dahin gekommen, das Recht in seiner Eigenart zu erfassen, daber der Gedanke einer Betracbtung des Staates unter ausschliefslicb recbtlichen Gesichtspunkten ihnen nicbt gelKufig ist. Diese Ver- bindung der Staatslebre mit Jurisprndenz ist fiir die moderne Entwicklung der theoretiscben Staatswissenscbaft von der bOchsten Bedeutung geworden.

Die neuere, durch Renaissance und Reformation eingeleitete Zeit beginnt ebenfalls mit politischen Erdrterungen. Die Auf- l(>sung der mittelalterlichen Welt hatte die alten Autoritftten ge- stttrzt oder doch erschUttert. An Stelle der mittelalterlichen Einbeit des Reiches war eine Vielheit ihrer Selbstilndigkeit sich bewufster Staaten getreten. Damit war der Trieb gegeben , sich liber die neuen Bildungen, ihren Wert und die Bedingungen ihrer Er-

Drittes Kapitel. Die G«scbichte der Staatslehre. 57

haltung klar zu werden. Diesem Zwecke dienen aber wiederum eingehende Er^rtemngen theoretischer Natur. So enthalten denu die an der Spitze der modernen politischen Literatnr Btebenden Werke Machiavellis und namentlich die Jean Boding eine Beihe bedeutsamster UnterBackungen ttber Wesen, Eigenschaften und Arten der Staaten. Von neuem ist bier wie bei Aristoteles, aber nicbt mehr ihm sklaviscb folgend, der Blick zurttckgewendet anf die gegebene Welt, nm aus ibr die Typen zu gewinnen, fhr welcbe die Vorscbriften der Staatskunst berecbnet sind.

Die neuerstandene Welt sacbt aber ancb nacb einer neuen festen Basis der von Grand aus verHnderten VerbllltnisHe ; diese bietet ibr das durcb antike and mittelalterlicbe Anscbaaangen vermittelte Naturrecbt, dessen Eigenart nicbt zam geringsten darin bestebt, dais es, von tbeologiscber Basis losgelOst^ nicbt kraft gOttlicben Gebotes^ sondern kraft innerer Notwendigkeit seine Selbstttndigkeit bebauptet. Dieses Naturrecbt ist in seinem Anfange banptsttcblicb dem 6£Pentlicben Recbte zugewendet. Der Staat, seine Entstebung, sein Wesen, seine Fanktionen werden ans ibm abgeleitet. Damit tritt eine allgemeine Lebre vom Staate auf , die sicb scbon in ibren Anfiingen als eine recbtlicbe Tbeorie gibt and sicb in bewufsten Gegensatz za der politiscben Bebandlungsweise des Staates stellt. Die Selbstttndigkeit dieses Recbtes gegenttber der Folitik wird scbon von Hngo Grotius stark betont^). Trotzdem finden anter den folgenden Natnr- recbtslebrern wiedernm Vermiscbangen des Juristiscben mit dem Politiscben statt, was wobl begreiflicb ist, da die bervorragendsten and einflnlsreicbsten Scbriftsteller an der Gestaltung der politischen Verb&ltnisse lebbaft interessiert sind und ibre Untersuchungen in erster Linie tbeoretiscbe Fandierang ibrer praktischen Ziele bezwecken. Bei H o b b e s and Locke, bei Spinoza und P u f e n- d o r f y wie spftter bei Rousseau und Kant tritt dies Bestrebeu, den Normalstaat zu zeicbnen als Zweck der theoretiscben Unter- sacbung, jedem Leser deutlicb bervor. TTberall erscheint aber der Staat als eine durcb das Recbt begrUndete und fortwfibrend auf einem Recbtsgrunde dem Staatsvertrage ruhende Institution.

Es waren Mftnner, die weniger im Vordergrunde der geistigen Bewegung standen und die Anregungen jener bervorragenden Geister mebr in scbulgerecbter Weise auszubilden bestrebt waren,

') De iure belli et pacis. Proleg. § 57.

58 Erstes Buch. Einleitende Unterauchungen.

die, in LoslQsung von der Politik^ eine Disziplin deb all- gemeinen Staatsrecbtes schafen. Nachdem bereits Lipsius^) die Politik unabliHugig vom Staatsrecbte abgebandelt batte, unter- nabra es der Hollander Ulricb Huber in seinem Bucbe iiber den Staat, die nova discipliua iuris publici universalis in strenger Scbeidung von der Politik darzustellen ^). Huber ist somit der Scb&pfer nicbt der Lebre^ aber der Bezeicbnung des allgeineinen Staatsrecbtes, das nunmebr oft Bearbeitungen findet. GegrUndet wird diese Disziplin auf das Naturrecbt und die bistoriscbe £r- fabrung. Sie stebt daber der Wirklicbkeit nRber als die privat- recbtlicbe Naturrecbtslebre , die allerdings keinen Aristoteles als Vorbild ibrer Metbode aufzuweisen batte. Die umfassenden Systeme des Naturrecbts seit Pufendorf^) aber widmen dem allgemeinen Staatsrecbte besondere BUcber oder Absebnitte.

Die Forderung der durcbgiingigen Trennung des Juristiscben vom Politiscben wird jedocb in der naturrecbtlicben Literatur keineswegs strikte durcbgefUbrt. Das praktiscbe Interesse Uber- wiegt das tbcoretiscbe so sehr, dafs aucb die scbulgemiirse Natur- recbtslebre an dem Kampfe um Neugestaltung der staatllcben Verbftltnisse teilnimmt, ja eine der grofsen geistigen MAcbte in diesem Prozesse der Neugestaltung wird. Der Einfluts, den Pufendorf, Tbomasius, Wolflf und scbliefslicb Kant auf das politiscbe Denken ibrer Zeiten gewonnen baben, war nicbt viel geringer als die Wirkung der Scbriftsteller, die unmittelbar den praktiscben Zweck ibrer Lebren in den Vordergrund stellten, wie Locke und Rousseau.

Nacb dem Falle der Vorberrscbaft der naturrecbtlicben Scbule erlebt das in eine ausgesprocbene politiscbe Tendenz aus- lanfende allgemeine Staatsrecbt eine NacbblUte in dem allgemeinen konstitutionellen Staatsrecbt. Montesquieu batte in seinem

berlibmten ,,esprit des lois" ein diesseitiges politiscbes Ideal in

------ p

*) Politicorum sive civilis doctrinae libri VI, 1590.

*) De iure civitatis libri tres novam iuris publici universalis disci- plinam continentes, cd. quarta 1708 (ed. princeps 1672). tlber den Gegen- satz von allgemeinem Staatsrecbt und Politik, LI, sect. I, 1 § 14.

') Pufendorf bandelt von ibm De jure naturae et gentium libr. VIII in den beiden letztcn Biichern, noch obne besondere Be- zeichnuDg fur diesen Teil des Naturrecbts. In Deutscbland scheint zuerst J. H. Bohmcr, Introductio in ius publicum universale ex genuinis iuris naturae principiis, 1710, die Bezeicbnung „allgemeine8 Staatsrecbt" popular geraacbt zu liaben.

Drittes RapiteL Die Geschichte der Staatslehre. 59

dem Staate gefunden, dessen Zweck die politische Freiheit seiner Btlrger ist and damit England als das konstitiitionelle Musterbild hingestellt. Die englischen Institutionen in der Form, wie sie in Frankreich verstanden und nachgeahmt werden, geben Anlafs zu einer Lehre von dem konfititutionelleu Masterstaate, namentlich auf Grand der Aasftllirangen von Mirabean, Sieycs und Benjamin Constant. Dieses allgemeine konstitationelle Staats- recbt, in zablreichen franzbsischen and dentscben Werken vor- getragen, bat wiederum grofse Wirkung auf die praktiscbe Politik gebabt, indem es die Grundlage des Programmes der Hberalen Parteien, so aucb namentlicb in Dentscbland, geworden ist.

Der grofse Umscbwung im wissenscbaftlicben Denken , der sicb am Ende des 18. und am Anfange des 19. Jabrbunderts voll- ziebt, Hufsert sicb aucb in den Staatswissenscbaften. Zwar besteben die alten Ricbtungen and Tendenzen fort. Politiscbe Scbrift- steller, oft von grofsem praktiscbem Einflusse, stellen von neuem Idealtjpen des Staates auf, deren Verwirklicbung in das Program m der politiscben Parteien aufgenommen wird. Daneben aber erbebt sicb, dem gescbttrften wissenscbaftlicben Sinne der neuen Zeit eutsprecbend, die Forderaug objektiver Erkenntnis des bistoriscb Gewordenen, des vorbandenen Staates. Die Bearbeitung neuer Wissensgebiete, die mit dem Staatsleben in innigem Zusammen- bange steben, Ittfst dessen Probleme von neuen Standpunkten auB betracbtet werden. Hatte das Naturrecbt den Staat aus- scblierslich als eine Recbtsanstalt aufgefafst und ibn ganz auf juristiscbem Grunde fundiert, so tritt nun die Mannigfaltigkeit des Wesens des Staates in das wissenscbaftlicbe Bewufstsein. Das zeigt sicb aucb darin, dafs die Erkenntnis sicb Babn bricbt, die Grundwissenscbaft vom Staate sei uicbt uur die Recbtslehre des Staates, sondern aacb eine selbstftndige Disziplin, welche die Uber das Kecbt binaus und dem Hecbte vorangebende Natur des Staates, zu deren Feststellung die Hilfsmittel der juristiscben Forscbung nicbt ansreicben, zu ergrUnden strebt. So bildet sicb die Forderung einer allgemeinen Staatslebre, die den Staat nicbt nur in seiner Eigenscbaft als Recbtssubjekt , sondern in der Totalittlt seiner Merkmale zum Gegenstand bat. Der Terminus Staatslebre als tlbersetzung des Wortes Politik findet sicb scbon in der Mitte des 18. Jabrbunderts^). Die Erkenntnis ihres Unter-

') Uber diese Literatur vgl. v. Mobl, I, S. 265-334. Zahlreiche literariscbe Notizen bci v. Are tin, Staatsrecbt der konstitutionellen

50 Erstes Buch. Einleitende UnterauchuDgen.

schiedes vod dem allgemeinen Staatsrecht tritt aber erst am Ende des 18. Jabrhunderts auf ^). In der ersten HKlfte des 19. Jabr- bnnderts wird die Staatslebre entweder als eine selbstftndige Disziplin neben Staatsrecbt and Politik bebandelt, aU Natarlebre des Staates^), oder als die Gresamtbeit der tbeoretiscben Staats- wissenscbaften im Gegensatz zor praktiscben bezeicbnet^). Als selbstHndige staatswissenscbaftlicbe Disziplin wird sie sodann in der zweiten HUlfte des Jabrbunderts von R. v. Mobl gelebrt^) und nnter seinem Einflafs von anderen abgebandelt*^). Docb fehlt

Monarchie, I, 1824, fur die spatere Zeit ein umfassender bibliograpbischer Nacbweis bei Held, Staat und Gesellschaft, III, 1865, S. 91—100

^) Zuerst war es Schlozer, AlIgemeiDes Staatsrecht, 1793, S. 9, der die Staatswissenschaft in Staatskunde und Staatslebre schied. Unter der letztcren, die er auch als cursus politicus philosopbicus oder scientia imperii im Gegensatz zu der dem Einzelstaat zugewendeten notitia imperiorum bezeichnet, versteht er: „die menschlicbe Einricbtung, Staat genannt, nacb ihrem Zweck und Wesen uberbaupt''. Sie zerf&llt ihm in Metapolitik (die als Vorl&ufer der heutigen Soziallebre vom Staate zu bezeichnen ist), Staatsrecbt, Staatsverfassungslebre und Politik im engeren Sinne.

') Eine Physiologie der Staaten, die den realen Staatenbildungs- prozefs erkennen lafst, hat zuerst Schieiermacber, Die Lebre vom Staat, herauBgeg. von Chr. A. Brandis, S. Iff., gefordert. Sodann bat Rotteck (vgl. die folgende Note) die Staat:«phy8ik als einen Teil der Staatslebre bebandelt, hierauf Heinrich Leo, Studien und Skizzen zu einer Naturlehre des Staates, I, 1833, die Grundzuge einer Physiologie der Staaten entworfen und K. S. Zachariae, Vierzig Bucber vom Staate, 2. Aufl., 2. Bd., 1839, eine allgemeine politiscbe Naturlehre der Staatsvei^fassungslehre vorangestellt. Auch in neuester Zeit ist der Gedanke einer Naturlehre des Staates von Anhangern der organiscben Staatsauffassung gepflegt worden, so von C. Frantz, Vorscbule zu einer Physiologie der Staaten, 1857, und Naturlehre des Staates, 1870, sowie von den biologischen Soziologen, wie Spencer und Schftffle.

')v. Rotteck, Lehrbuch des Vernunftrechts und der Staats- wissenscbaften, II, 1830, scheidet theoretische Staatslebre oder Meta- politik von der praktiscben Staatslebre als der Politik im engeren oder eigentlicben Sinne und zerfallt die erstere in Staatsmetaphysik, Staats- physik und allgemeincs Staatsrecht.

^) Zuerst a. a. 0. I, S. 126, sodann Enzyklopadie der Staatswissen- schaften, 2. Aufl. 1872, S. 71—157. Der Staatslebre steben als dog- matische Staatswissenschaften offentlichcs Recht, Staats-Sittenlehre und Staatskunst (Politik) zur Seite.

*) Bluntschli, Lebre vom modernen Staat, 1875 76, bat sein allgemeines Staatsrecht, von den fruhereu vier Auflagen abweicbend, in drei Bande verwandelt: I. Allgemeine Staatslebre. II. Allgemeines

Drittes KapiteK Die Qeschichte der Staatslehre. 61

liberall ein festes, dnrchgreifendes, anerkaDntes Merkmal, das die Staatslehre yom Staatsrecht und der Politik scheidet, wie denn ancb die einschlttgigen Darstellangen der Unklarheiten und Wider- sprtkche voll sind ^),

Voile Klarheit wird jedoch durch die i^iesem Werke zugrnnde gelegte) Erkenntnis gebracht, dafs es zwei mOgliche wissenschaft- liche Standpnnkte gibt, von denen aus der Staat betrachtet werden kann, der soziale und der rechtliche. Die Lehren von einer Physik oder Pbjsiologie des Staates, you einer politischen Naturlehre, beruhen, wie spllter dargelegt werden wird, auf einer metbodischen Unklarbeit. Was an ibnen wissenschaftlicben Wert bat, &d\t ebenfalls der Soziallebre vom Staate zu. Aucb die Kxistenz einer gesonderten pbilosopbischen Staatslebre oder eines solcben Staatsrecbts , einer Staatsmetapbysik ist zu verneinen; vielmebr

Staatsrecht. 111. Politik. Fur eine gesonderte Disziplin erkl&ren femer die Staatslehre RSfsler, System der Staatslehre, 1857; H. Bischof, AUgemeine Staatslehre, 1860; Escheri Handbuch der praktischen Po- litik, 1863, I, S. 8; v. Holtzendorff a. a. O. S. 4; G. Meyer, S. 44. Andere hingegen, wie H. Schulze, Einleitang in das deutsche Staats- recht, neue Ausgabe 1867, und J. v. Held, GrundzGge des allgemeinen Staatsrechts, 1868, scheiden die allgemeine Staatslehre uberhaupt nicht vom allgemeinen Staatsrecht, und eine dritte Gnippe. zu der M. Seydel, Grundzuge der allgemeinen Staatslehre, 1873, Lingg, Empirische Untersuchungen zur allgemeinen Staatslehre, 1890, und Bomb a k, Allgemeine Staatslehre, 189o, z&hlen, w&hlt diesen Ausdruck fur die allgemeine Staatsrechtslehre oder fiziert doch nicht das Verhaltuis von Staatslehre zu Staatsrecht; J. Schvarcz, Elemente der Politik. Ver- snch einer Staatslehre auf Grundlage der vergleichenden Staatswissen- achaft und Kulturgeschichte , 1895, vermengt schon im Titel seines Werkes alle Bezeichnungen , was auch der Unklarheit des Inhaltes entspricht (vgl. z. B. S. 42 die 24 Zeilen lange Staatsdefinition). Die Zugehorigkeit des Staatsrechts zur Staatslehre betont Gareis, All- gemeines Staatsrecht in AJarquardsens Handbuch des OfFentlichen Rechts, Ji, S. 17 fi. Als umfassendere , das allgemeine Staatsrecht in sich schUelsende Disziplin wird die allgemeine Staatslehre neuestens in dem gleicfanamigen , auf solidem Grunde und reicher Gelehrsamkeit auf- gebauten, ubrigens auch weitgehende politische Exkurse enthaltenden Werke von Rehm abgehandelt.

1) Man vergleiche z. B. nur die allgemeine Staatslehre Mob Is mit der Blnntschlis. Die erstere befafst die Lehre von der Gesetz- gebnng in sich, welche die letztere dem allgemeinen Staatsrecht zuweist. Diese hingegen umfafst die ganzen Lehren von den Staatsformen und den Staatsbeamten , die bei Mohl dem „philosophischen Staatsrecht*^ zugebQren.

62 Erstes Buch. £inleitende Uutersachangen.

gehdrt das Spekulative in den einschlAgigen Materien nicht der Staatswissenschaft, sondern der Philosophie an, wfthrend die Lehre von den Prinzipien der Staatslehre entweder einen Teil der Sozial- oder der Rechtslehre des Staates bildet.

In zwei wichtigen Punkten ist aber durch alle bestehende Unklarheit hiudurch im Laufe der ueuesteu Zeit folgende grund- legcnde Erkenntnis durchgedruogen. Einmal^ dafs das allgemeine Staatsrecht kelne Lehre von einero geltenden Rechte, sondem gleich dem nichtjuristischen Teil der Staatslehre eine Theorie ist, die nicht Normen, sondern wissenschaftliche Stttze enthlllt Sie steht wissenschaftlich auf gleicher Linie mit der allgemeinen Rechtslehre, die wir fUr jedes Rechtssjstem ford em als eine Lehre von den Rechtsprinzipien , die in einem bestimmten Rechte ans- geprttgt sind ').

Sodann die strengste Scheidung des Theoretischen vom Prak* tischen^ die ungeachtet aller Besserungsversnche fortwtthrend mit- einander vermischt werden. Die Forderung einer von der Politik geschiedenen Staatslehre, die trotz aller Kenntnis iind Beachtung der politischen Ideen und Forderungen in ihren Resaltaten nur dem Gewordenen und Seienden, nicht dem Seinsollenden zu- gewendet ist, ist die notwendige Konsequenz der Lehren der neueren mit W. E. Albrecht'^) und C. F. v. Gerber') be- ^innenden deutschen Publizistenschule, deren Aufgabe es ist, das Staatsrecht ausschliefslich in seinem rechtlichen Gehalte za er- forschen und darzustellen. Diese Schule hat viele Grundbegriffe in der Form tlbernommen, wie sie von der naturrechtlichen Lehre und der politischen Literatur gezeitigt worden waren. Sie nahm deren Resultate fUr juristische Ergebnisse, wfthrend sio doch in sehr vielen StUckeu nichts als der Niederschlag bestimmter poli-

') So beiiandelt G. Meyer, S. Iff., die allgemeine Staatsrechts- lehre als Grundbegriffe des Staatsreehts, Hanel, Deutschcs Staats- recht, I, S. 73 ff, als die staatsrechtlichen Grundverhaltuisse, Anschutz, Grundzuge dos deutschen Staatsrechts , in Kohlcrs Knzjklopadie der Hcchtswisjsonschait, II, S. 451 ff., als bogriff'liche Gnindlagen des deutschen Staatsrechts.

*) Rczension von Maurenbrechers Grundsiitzen des heutigen deut- schen Staatsrechts. Giittinger gelehrtc Anzeigen 1887, III, S. 1489—1504, 1508—1515.

•') Grundzuge eines Systems des deutschen Staatsrechts, 1. Aufl. 1865, 3. Auli. li?80. Das Programm der neuen Kichtung in der Vorrede zur ersten Auflage.

Drittes Kapitel. Die Geschichte der Staatslehre. 68

tiscber Theorien sind. So bat denn aucb unsere neuere Staats* recbtswissenscbaft, ihr selbst in der Kegel unbewnfst, Politik ge- trieben, indem sie aus angeblicben Recbtssfltzen Konseqnenzen zog, die sie fUr juristiscbe hielt, die in Wabrheit aber nur poHtiscber Xatur sind. Daher fordert der Ausbau einer m5glich objcktiven pablizistischen Wissenscbaft beute eine Sicbtung der Grundbegriffe, anf die sie an fangs verzicfaten zu konnen glaubte.

Cberblickt man die zablreicben Versucbe der Bearbeitung der Staatslehre, die in neuester Zeit unternommen worden sind, so ergibt sicb folgendes:

Umfassende Darstellungen und eingebende Einzelunter- sncbongen sind bei Schriftstellem zu finden^ die sicb ex professo mit der Staatswissenscfaaft und Recbtslebre befassen. In ihnen spiegelt sicli der Gegensatz der Metboden wider, die in diesen Disziplinen berrscben. Je nacb der ttberwiegenden Bildung des Autors tritt die spekulativ-philosopbiscbe, die bistoriscb-politiscbe, die juristiscbe Bebandlungsweise des StofFes als die leiteude ber- Tor. Systematische Bearbeitungen des Gesamtstoffes geben heute in der Kegel von Juristen oder docb juristiscb gebildeten For- acbern aus ^). Die allgemeine Staatsrechtslebre als Lebre von

M Aufser den bereits angefuhrten Werken von Held, Bluntschli, Gerber, H. Schuize, v. Seydel, Laband, G. Meyer, Gareis, Bornhak, Anscbutz sind von umfassenderen Arbeiten dentscher Juristen der letzten vierzig Jahre namentlich an dieser Stelle noch zu nennen: Zopfl, Grunds&tze des gemeinen deutschen Staatsrechts, I, 5. Aufl. 1863, §§ 1—65; v. Kaltenborn, Einleitung in das konstitutionelle Verfassungsrecht, 1863; H. A. Zackariae, Deutaches Staats- und Bandesrecht, I, 3. Aufl. 1865, §§ 1—28; L. Stein, Die Lehre von der voUziekenden Gewalt, 2. Aufl., I, 1869; Hftnel, Studien zum deutschen Staatsrecht, I, II, 1873—83; Gneist, Der Rechtsstaat, 2. Aufl. 1^^79; 0. Mejer, Einleitung in das deutsche Staatsrecht, 2. Aufl. 1884, S. 1 bis 29; Kosin, Das Kecht der offentlichen Gpnossenschaft , 1886; J el li nek, Gesetz und Verordnung, 1887, System der subjektiven dflentlichen Kechte, 1892; Gierke, Die Genossenachaftstheorie und die deutsche Rechtsprechung, 1887; Preufs, Gemeinde, Staat, Reich als Gebietskdrperschaften, 1889; Ad. Merkel, Philosophische Einleitung in die Kechtswissenschaft , in Holtzendorfts Enzyklopadie der Rechts- wissenschaft, 5. Aufl., S. 1 fi*. (neuerdings abgcdruckt bei Merkel, Ge- sammelte Abhandlungen aus dem Gebiete der allgemeinen Rechtslehre and des Strafrechts, 1899, S. 577 fF.); A. Affolter, Grundzuge dos all- gemeinen Staatsrechts, 1892; derselbe, Staat und Recht, in Hirths Annalen des Deutschen Reiches, 1903; Zorn, Das Staatsrecht des Deutschen Reiches, 2. Aufl., I, II, 1895—97; Otto Mayer, Deutsches

54 £r8te8 Bach. Einleitende Untenacfaungen.

den staatsrechtlichen Grnndbegriffen ist zweifellos von Rechts- wegen iu erster Linie Domftne der Juristen, was aach immer aus anderen WisseDsgebieten zur Vertiefung der Untersuchnng heran- gezogen werden mafs. In den modernen Darstellnngen dee Staatsrechts pflegt dem positiyen Stoffe eine Skizse der all- gemeinen Staatsrecbtslehre vorangestellt zu werden, mit voUem Recbte, da sicb diese Lebre zn der von den einzelnen pnbli- zistiscben Recbtsinstitnten ILbnlicb verbKlt wie der allgemeine Teil des Privatrecbtes oder Strafrecbtes zn den llbrigen Partien dieser Disziplinen. Wie nicbt anders mOglicb, sind daber ancb in Werken, die sofort das Detail des positiven Staatsrecbts vor- tragen,- Untersacbnngen fiber die allgemeinen staatsrecbtlicben Prinzipien za finden oder docb wenigstens stillscbweigend zur Deduktion verwendet.

Bearbeitnng eines gr^fseren oder geringeren Teiles des der Staatslebre zugewiesenen Stoffes bat diese aber aucb von Miinnem solcber Forscbnngsgebiete erfabren, die mit ibr entweder in

Verwaltungsrecbt, I, II, 1895—96; Bruno Schmidt, Der Staat (Jellinek- Mejer, Staats- und y5lkerrechtliche Abhandlungen , I, 6), 1896; M. V. Seydel, Vortrage aus dem allgemeinen Staatsrecht, in Hirtbs Annalen des Deutschen Reiches, 1898 und 1899; Edgar Loening, Der Staat, Handwdrterbuch der Staatswissenschaften, 2. Aufl, YI, 1901, S. 907 ff.; Frh. V. Lemayer, Der Begrift' des Rechtsschutzes im bffentl. Rechte im Zusammenhange der Wandiungen der Staateauffassung betrachtet, 1902 ; G. S e idler, Das juristische Kriterium des Staates, 1905. Von der umfang- reichcn neuesten aufserdeutscben Literatur seien hier erw&hnt: Boutmj, Etudes de droit constitutionnei, 2. ^d., Paris 1895; Esmein, Elements de droit constitutionnel fran^ais et compart, 3. ^d., Paris 1903; Duguit, L'Etat, droit objectif et loi positive, 1901, II, Les Gouvernants et les Agents, 1903; Woodraw Wilson, The State. Elements of historical and practical Politics, Boston 1892; Burgess, Political Science and Comparative Constitutional Law I, II, Boston and London 1898; Or- lando, Principii di diritto costituzionale, 3. ed. Firenze 1894; A^afiav- Tlvog,'ElXf}Vix6v avvTayfjuTixov dixtttor I. Athen 1897 98; 2aQ(nokoq^ XvOTTifja aifVTtty/uaTixov dtxatov xa\ yerixov if\fAoa(ov ^ixafov I*, Athen 1903. Vgl. femer L. Rossi, Die neuere Literatur des Verfassungs- rechtes bei den romanischen Volkern, in der Kritischen Vierteljahrs- schrift fur Gesetzgebung und Rechtswissenschaft (ubers. v. SeydelX 1895, S. 523 ff., u. 1897, 8. 1 ff. Dazu kommen aber noch zablreiche Monographien und Kritiken sowie Untersuchungen zur allgemeinen Rechtslehre und andere juristischen Disziplinen gewidmete Arbeiten, von denen die wichtigsten bei den entsprechenden Partien dieses Werkes angegeben werden soUen.

Drittes Kapitel. Die Geschichte der Staatslehre. 55

innigem ZuBammenhaiige stehen oder sie doch bertthren. Nament- licb sind hier hervorzuheben :

1. ArbeitenphilosopbischerSchriftsteller. Jedes umfassende pbilosopbische System hat natUrlicb anch eine Staats- lebre za entwerfen, die indes jetzt nacb dem Falle der Vorherr- scbaft der spekulativen Philosophie der Originalitllt zu entbehreu pflegt, meist auch nicbt genttgend in die Tiefe dringt. Ferner bat die Recbtspbilosopbie sicb, wie mit alien Grundfragen des Gesellscbaftslebens , so aucb mit den Prinzipien der Staatslehre za beschUftigen. Doch pflegen anch die bierhergeh($renden neneren Arbeiten sich der Staatswissenscbaft gegenttber mehr empfangend als gebend zn verbal ten nnd zeigen manchmal sogar eine b6cbst lUckenbafte Kenntnis der Ergebnisse der staatswissen- schaftlichen Forscbnngen ^).

2. Werke ttberPolitik aufbistoriscberGrnnd- lage. Von Gescbicbtscbreibern ist der Staat hllufig znm Gegen- stand selbstttndiger Betracbtnog gemacht worden. Hervorragende Versncbe dieser Art stehen noch ganz anf dem Boden der antiken Anscbannngy die das gesamte Staatsleben nur als ungebrochene Einbeit zu fassen vermag. Eine Scheidung des Rechtlicben vom Nicbt- Rechtlichen, des Juristiscben vom Politischen ist bei ihnen nicbt zu finden. Sie zeichnen vielmehr den Staat ^ wie ihn eine nabe Zukunft anf Grund der geschichtlichen Entwicklung und des politischen Programms des Antors verwirklichen soil'). Da-

') Vgl. Stab If a. a. O. II', Die Staatslehre und die Prinzipien des Staatsrerhts. 5. Aufl. 1878; Ahrens, Naturrecht, 6. Aufl., II, 1870, S. 264 ff.; Trendelenburg, Naturrecht auf dem Grundc der Ethik, 2. Aufl. 1868, S. 325fF.; Las son. System der Rechtsphilosophie, 18><2, S. 641 flF.; Heffding, Ethik, uberseUt von Bendixen, 188<S, S. 896 ff.; Paulsen, System der Ethik, 6. Aufl., II, 1903, S. 543 flF.; Wundt, a. a. O- II, S. 306 ff. und System der Philosophie, 2. Aufl. 1897, S. 611 fl:'.; Ludwig Stein, Die soziale Frage im Lichte der Philosophie, 2. Aufl. 1903, namentlich S. 421 ff. Von katholischem Standpunkt Cathrein im Staatslexikon, herausgeg. im Auftrag der Gorres-Gesellschaft s. v. Staat, V, 1897, S. 216 ff. Fur das heutige Verhaltnis der deutschen Philosophie znr Staatslehre ist es bezciclincnd, dafs das an biblio- graphischen Nach weisen so reiche Werk von Ueberwcg-Heinzo, Grundrifs der Geschichte der Philosophie des 19. Jahrhunderts, 9. Aufl. 1902, zwar S. 349 einige durftige Notizen iiber die Rechtsphilosophie hat, die Staatslehre aber mit keinem Worte erwiihnt.

*} Die hervorragendsten : Dahlmann, Die Politik, 1, 2. Aufl. I'^-il;

JellJnek, Das Recht des modernen Staates. I. 2. Aufl. 5

56 Erstes Buch. Einleitende Untersuchungen.

neben stehen Arbeiten, die einer Naturlebre des Staates oder einzelner Staatsfornien zugewendet sind, in der Regel eben- falls theoretische ErOrterungen mit praktischer Spitze *). Femer zllhlen hierher auch die Darstellungen der Politik, die yoq Mftnnem der Staatswissenschaft ausgehen. In ihnen finden sicb heute Untersucbungen, die der sozialen Staats- und Staatsrecbte- lebre zugewendet sind ^).

3. Soziologiscbe Tbeorien®). Seitdem A. Comte,

G. Waitz, Grundzuge der Politik, 1862; H. v. Treitscbke, Politik, Vorlesungen, herausgeg. von Comicelius, I, II, 1897 98.

1) C. Frantz (vgl. ob. S. 60 N. 2); Roscher, Politik, Geacbicbt- licbe Naturlebre der Monarcbie, Aristokratie und Demokratie, 1892.

«) Escber, Handbucb der prakt. Politik, 1, II, 1863—64; FrSbel, Tbeorie der Politik, I, II, 1864; v. Ho Itz endor f f , Politik; Scbollenberger, Politik in syet. Darstellung , 1903. Hierber zftblen aucb die Arbeiten der Franzosen und Euglander uber Politik, die ja tbeoretiscbe und praktiscbe Staatswissenscbaft als Einbeit er- fassen. So z. B. Laboulaje, L'^tat es aes limites, 1863; Bucbez, Traits de politique, I, II, 1866; de Parieu, Principea de la science politique, 1875; P. Leroy-Beaulieu, L'^tat et ses fonctions, 1891; Edw. Freeman, Comparative Politics, 1873; Sidgwicks, Tbe Ele- ments of Politics, 1891; Seeley, Introduction to Political Science, London 1896; Westel W. Willoughby, An examination of tbe Nature of tbe State, New York 1896. Eine eingebende Eritik der bentigen staatlicben Institutionen vom sozialistiscben Standpunkt bei A. Menger, Neue Staatslebre, 1903.

*) Grundlegend fur diese Ricbtung: A. Comte, Cours de pbilo- sopbie positive, I VI, 5 ^d., 1893 94, Syst^me de politique positive, ou traits de sociologie instituant la religion de Tbumanit^, I IV, 1851—54; H. Spencer, A System of Syntbetic Pbilosopby, VI— VIII, Principles of Sociology, namentlicb Vol. VII, 2. ed. 1885. Femer A. Fouill6, La science sociale contemporaine , 2. M, 1885; Ratzen- bofer, Wesen und Zweck der Politik als Teil der Soziologie und Grundlage der Staatswissenscbaften, I III, 1893; G. de Greef, Les lois sociologiques, 1898; Schaffle, Bau und Leben des sozialen KQrpers, 2. Aufl., I— II, 1896, namentlicb II, S. 427 ff.; F. U. Giddings, The Principles of Sociology, an analysis of the phenomena of association and of social organisation, 1896. Uber die ganze, sehr umfangreicbe Literatur der Soziologie vgl. das bereits anp^ezogene Werk von Barth, femer fiir Frankreich, Italien, England Ueberweg-Heinze, a. a. 0. §§ 43, 47, 54, 68; Ludwig Stein, a. a. O. S. 13 ff. Cber die neu er- scheinende Literatur berichtet Durkheim, L'ann^e sociologique, seit 1896. Von den anderen hierbergehorigen Arbeiten zablcn zu den bervorragendsten und tiefstdrinjrenden die von Si mm el, vgl. aufser den bereits angefuhrten namentlicb : Uber soziale DifTerenzierung, 1890, Einleitung in die Moral wissenscbaft , 2. Bd., 1892 93, Superiority and

Di-ittes Rapitel. Die Geschichte der Staatslehre. $7

den Anregungen Saint-Simons folgend, an Stelle der speku- lativen Behandlnng der Probleme des menschlichen Gemeinlebens eine nach den empirischen Gesetzen des Zusanimenhanges der Erscheinungen dieses Gemeinlebens forschende Soziologie zu setzen bestrebt war, sind an Stelle der frUheren Philosophie der Gescbicbte zahlreiche Versncbe getreten, die Staatslehre als einen Teil jener nmfassenden Sozialwissenschaft zn behandelu. Da aber hier bei der Unfertigkeit der neuen Wissenscbaft nnd dem Mangel einer anerkannten Methode subjektiver WillkUr der breiteste Spielraum gewttbrt ist, so sind feste Resultate nener, bisber nnbekannter Art vorderhand nicht erreicbt worden; viel- mebr tritt, wie ebedem in der sicb offen als metapbysiscb be- kennenden Philosopbie der Geschichte, so jetzt in der empirisch verzierten Speknlation der nie zu vereinigende Gegensatz prin- zipieller Anschauungen scharf hervor ^). Bei alien Arbeiten dieser Gattung stellt sich daher notwendig die Individualitftt des Autors energisch in den Vordergrund. Mafs und Umfang der Bildung, Art der Weltanschauung , Adel oder Trivialitttt der Gesinnung, Stftrke und Schwttche des Cbarakters sind fUr die Ergebnisse soziolog^scher Forschung derart von Bedeutung, dafs man billig vorerst nicht nach dem, was gelehrt, sondern nach dem Lehrer fragen sollte^).

Reichere Ergebnisse haben die hier anzuschliefsenden wirt- Bchaftsgeschichtlichen und wirtschaftspolitischen Forschungen ge- liefert, die aber auch der Gefahr der Einseitigkeit ausgesetzt sind, sofern sie nftmlich den Staat ausschliefsiich als Prodnkt wirtschaftlicher Kr^fte betrachten.

Subordination as subject matter of Sociology, American Journal of Sociology, II, Chicago 1896, p. 167 fF. Parerga zur Sozialphilosophie, Das Problem der Soziologie, Schmollers Jahrb., 1894, S. 2.57 ff., 1301 ff. Uber das Verhaltnis der Soziologie zur Geschichte vgl. Bernheim, a. a. 0. S. 85 ff.

^) Es ist daher nicht zu verwundern, dafd in dieser zur Signatur heutiger geistiger Tagesmode gehorenden Disziplin neben crnsthaften Forschern auch eine aufdringliche wisseuschaftliche Halbweit sich breit zn machen strebt.

^ Eine eingehende Ausfuhrung iiber die Unzulanglichkeit der soziologischen Methoden bei Desldndres, 8. 52 ff., der S. 69 sebr treffend bemerkt: „Sur tous lea points, entre les sociologucs, nous ue voyons qu*oppositions, bataiUes, explications contradictoires : il y a presqu'autant de sociologies qu'il y a des sociologues."

5*

68 fintes Bach. Einleitende Unteranchiuigen.

Unttbersehbar ist die Zahl der Arbeiten, die, yervandten Wissensgebieten angehttrig, eine oder die andere der Staats- lehre zugeh5rige Frage erdrtem oder bertlhren. Der Zusammen- hang der Staatslehre mit alien Ubrigen Staatswissenschaften ist, wie auch ans den vorigen Kapiteln erhellt, so sehr in der Xatur der Sache gegeben, dads nllhere AusfUhmngen hierfiber ttberflUssig erscheinen. Ihre Beziebang zu anderen Disziplinen hingegen ist Gegenstand gesonderter Untersuchnng.

So verscbiedenartig aber auch die Wege sind, die zur L^Bung der Probleme der Staatslehre eingeschlagen werden, so mufs doch zam Zwecke sjstematischer Erforschung scharf ge- schieden werden zwischen dem, was der Staatslehre selbst, und dem, was ihren Beziehiingen za anderen Wissensgebieten znza- teilen ist. Das wird ans den Darlegungen des folgenden Kapitels erbellen.

Viertes Kapitel.

Die Beziehnngen der Staatslehre zur Gesamtheit

der Wissenschaften.

Uniyerselle nnd isolierende Forschung.

Ehe in nmfassende £r<5rteningen ttber das Wesen des Staates eingetreten werden kann, ist zur notwendigen Begrenzung der Aufgabe znv5rderst za untersncben, inwieweit der Staat Objekt der StaatswisHenschafteny inwieweit anderer Disziplinen ist.

Der Staat ist eine anf einem abgegrenzten Teil der Erd- oberflftcbe sefsbafte, mit einer berrscbenden Gewalt versebene nnd dnrcb sie zu einer Einbeit zusammengefafste Vielbeit von Menscben. Diese vorli&ufige Bescbreibung des Staates ist der Ausgangspunkt fllr die folgenden Er^rternngen.

Durcb seine Elemente ist der Staat in Verbindung mit der Gesamtbeit des Seienden. Er bat eine natiirlicbe nnd eine psycbiscb-s^ziale Seite. Daber baben alle Wissenscbaften Anlafs, sicb mit dem Staate zu bescbttftigen. Die beiden grofsen Ab- teilungen menscblicben Wissens^ Natur- und Geisteswissenscbaften, zflhlen beide den Staat zu ibren Objekten.

Die Forscbung kann eine doppelte Forderung fUr die Er- kenntnis eines jeden Objekles erbeben. Es ist eine univer- se 1 1 e und eine isolierende Erkltlrung des Gegebenen, die sie verlangen kann. Als eines Gliedes im Weltzusammenbang kann eine voUsUlndige Erklftrung des Einzelobjekts nur aus diesem Zasammenhang selbst erfolgen. Eine solche ErklHrung ist und bleibt aber, wie bereits erwttbnt, ein Ideal , an das nicht einmal eine AnnHberung stattfindet, da die Unendlicbkeit der das ein- zelne auswirkenden Eausalreiben , wie alles Unendlicbe^ ftlr die Wissenscbaft durcb Erkenntnis einzelner Glieder nicht vermindert

70 Erstes Buch. Einleitende Untersuchungen.

wird. Darum ist die von uns bereitB vorhin charakterisierte isolierende Erklftrung, die nur bestimmte, von vornherein be- grenzte Seiten eines Forschungsobjektes ins Auge fafst, auf alien Gebieten der Wissenschaft die einzige, welche exakte Resultate aiifzuweisen hat.

AUein solche isolierende Betrachtung ist notwendig einseitig, weil sie eben zu ihren Zwecken ganze Reihen von Erscheinungen, die ihr Objekt darbietet, vernacblHssigen mnfs. Diese Erschei- nungen mllssen aber wiederum Gegenstand isolierter Forschung sein. Teilung der Arbeit ist aucb fiir die Wissenschaft ein wichtiges Prinzip, um die Gute der Arbeit zu f^rdern.

So wie aber auf Qkonouiischem Gebiete die Teilung der Arbeit notwendig die Zusammenfassung der so erzeugten Arbeits- produkte zur Folge hat, so ist es auch fUr jede Wissenschaft not- wendig^ die Beziehungen zwischen den eiuzelnen, isolierten Seiten ihres Objektes herzustellen. Nicht nur deshalb, weil jede Wissen- schaft nur eine Teilerkenntnis liefert, die als ein Moment der Gesamterkenntnis erscheint, sondern auch weil der Hinblick auf die Resultate anderer Disziplinen die notwendige Korrektur einseitiger und schiefer Resultate in sich birgt und zugleich den Forscher vor dem sich so leicht einstellenden Fehler bewahrt, seine Erkenntnisweise und Ergebnisse fUr die endgUltigen und allein richtigen zu halten.

Namentlich aber bedarf jede Wissenschaft vom menschlichen Gemeinleben solcher Ergftnzung. Die Naturwissenschaften bilden eine aufsteigende Stufenfolge. Die hijhere Stufe bedarf zwar der niederen, nicht aber diese der h5heren. Man kann ^lathematik ohne Kenntnis der Mechanik, Mechanik ohne Cliemie, Chemie ohne Biologic treiben, nicht aber umgekehrt. AUe Seiten des menschlichen Gemeinlebens hingegen httngen derart miteinander zu- sammen, dafs keine Wissenschaft, die einer von ihnen zugewendet ist, der Resultate der Ubrigen ganz entbehren kOnnte. Und da das individuell-geistige Leben des Menschen sowie sein Leib und die ftufseren Bedingungen seiner Existenz Voraussetzungeu jenes Gemeinlebens sind, so haben alle Wissensgebiete Beziehungen zu der Klasse von Wissenschaften , welche die verwickeltsten Er- scheinungen zum Gogenstaude ihrer Forschungen macht, den Gesellschaftswissenschaften im weiteren Sinne.

So mufs denn auch die Lehre vom Staate sowohl die Re- sultate der anderen Wissenschaften bertlcksichtigen als auch sich

Viertes Kap. Bezieh. d. Staatslehre z. Gesamtheit d. WissenBchaften. 71

der Verbindungsglieder bewafst sein, die von den anderen Wissenschaften zu ihr hinttberftthren. Dabei ist ein Doppeltes zu beachten.

Einmal die Selbstftndigkeit der Staatswissenschaften. Die Staatswissenscbaft ist weder Naturwissenscbaft nocb Psycbologie, Etbik oder Okonomik. Alle Versucbe, die Staatswissenscbaft in eine andere aofgeben zu lassen, beruben auf unklarem Denken and sind daber energiscb zurilckzaweisen. Weil der Staat eine natttrlicbe, psjcbiscbe, etbiscbe, Okonomiscbe Seite aufweist, ist er mit nicbten ausschliefslicb Gegenstand jener Disziplinen. Denu das Spezifiscbe in ibm, das ibn von alien anderen Er- ficbeinungen tinterscbeidet, die mannigfaltigen Herrschaftsverbftlt- nisse kOnnen dnrcb andere Wissenscbafben in ibrem eigentttm- licben, sie von anderen Gemeinverbttltnissen unterscbeidenden Wesen nicbt erklftrt werden. Aber Grand, Yoraussetzung^ Zweck, Wirkung dieser VerbHltnisse, deren geeinte Kenntnis eine Total- ansicbt vom Staate vermitteln soil, die uns also lebren, was der Staat seinem nnr ibm eigentttmlicben Wesen nacb ist, zu ermitteln, das ist Aufgabe jener zusammenfassenden Erkenntnisweise. Vom Standpunkt anderer Wissenscbaften aus ktfnnen daber die Er- gebnisse der Staatslebre ergttnzt oder kritisiert, aber nicbt geAndert werden. So mag der Etbnograpb, der Psycbolog, der Soziolog uns nocb so neue und reicbe AufscblUsse liber Ursprang and Bedeutnng der Monarcbie geben, der Begriff der Monarcbie kann nur durcb isolierte Betracbtang dieser Staatsform and Feststellang des in ibr rabenden Recbtsgedankens gewonnen werden.

Sodann als Korrelat der Selbstttndigkeit der Staatswissenschaft (sowobl im weiteren Sinne, mit Einscblafs der Recbtswissenscbaft, als aucb im engeren Sinne) die Selbst&ndigkeit ibrer Metboden. Alle Metboden werden bestimmt oder modifiziert durcb die eigen- tilmlicbe Natur ibres Objektes. Daber ist es nicbts als gedanken- lose Konfusion, wenn man glaubt, die Methode einer Disziplin obne weiteres auf die anderen anwenden zu k5nnen. Indera man empiriscb mit naturwissenscbaftlich vorwecbselt, spricbt man von naturwissenscbaftlicber Erkenntnis sozialer Erscbeiuungen. Der Febler solcber Versucbe ist bereits dargetan worden, und ebenso, dafs es falscb ist z. B. , von einer biologiscben oder sozio- logiscben Metbode im Staatsrecbt zu red en. Man versucbe ein- mal, das Wesen der Verwaltungsgericbtsbarkeit eines bestimmten Staates „soziologiscb^ klarznstellen. Da kommt man zwar zu

72 Erstes Buch. £inleitende Untersuchungen.

allerlei Betrachtnngen Uber die sozialen VoraaBsetzangen and Wirkungen dieser Institution, aber das Technische ihres Funktio* nierens, auf das es ja bei der staatsrechtlicben Erkliimng gerade ankommt, kann nur mit der juristischen Methode erfafst werden. Daher ist es anderseits auch falsch, von einer juristischen Me- thode der gesamten Staatwissenschaft zn sprechen, da mit den Mitteln juristischer Forschung auch nur eine isolierte Seite des Staates, nicht der ganze Staat erkllirt wird. Der Jurist kann mit seiner Methode am Staate nur erfassen, was rechtlicher Natur ist.

Im nachstehenden sollen nun die wichtigsten Beziehungen, welche die Staatswissenschaften mit anderen Wissengebieten ver- kntlpfen, und die Bedeutung, welche deren Resultate ftir eine allseitige Erkenntnis des Staates haben, in grofsen Zttgen dar- gelegt werden. So skizzenhaft die folgenden Blfitter sein mOgen, so sind sie doch notwendig, um die Gesamtheit der Stand punkte zum Bewufstsein zu bringen, von denen aus der Staat betrachtet werden kann, und welch eine unermefsliche Fillle von Ursachen es ist, die die konkrete Erscheinung des Staates bestimmen. Diese Erkenntnis allein, mag sie ftir den einzelnen noch so lUckenhaft sein, be- wahrt vor Einseitigkeit und verhindert, dafs BeschrHnkung in der Erkenntnis zur BeschrAnktheit des Urteils ftihrt. Wir gehen hierbei von der herkOmmlichen Grundeinteilung der Wissen- schaften in Natur- und Geisteswissenschaften aus, deren Schwttche allerdings gerade iinter dem hier eingenommenen Gesichtspunkt klar hervortritt, da alles Staatliche zugleich ein Geistiges ist und wir daher Wissenschaften begegnen werden, denen eine Zwitter- stellung zuerkannt werden mufs.

II. Das VerhXItnis der Staatslehre zu den Natur-

wissenschaften ^).

Der Staat rulit, wie alles Menschliche, auf dem Grunde der Natur. Zwei ihm wesentliche Elemente gehOren der ftufseren

') Die Literatur, welche sich mit dem Verhaitnis des Staates zur Natur beschaftigt, ist in stetem Wachstum begriffen. Vielfach handelt es sich in derartigen Werkeu um Darlegung einer naturlichen Gesetz- raafsigkeit in den staatlichen Erschoinungen ohne jedwede Prufung der methodologischen Frage, inwieweit jene einer derartigen Erkenntnis iiberhaupt zuganglich sind. Meist werden unfertige biologiscbe Hypo- thescn einer oberflacblichcn und wilikurlichen Konstruktion der gesamten

Viertes Kap. Besieh. d. Staatslehre z. Gesamtheit d. WisseDschafteD. 73

Natur an : sein Gebiet and die Anzahl and k^rperlicfae Aosstattang seines Yolkes.

1. Dem Staate ist weaentlich ein Gebiet, d. h. ein ihm aas* schlieCslich zastHndiger rilamlicher Herrschaftobereich, nftmlich ein abgegrenzter Teil des Festlandes, za dem in den Seestaaten ein schmaler Streifen des KttBtenmeeres neben anderen geringftlgigen Meereateilen hinzutreten. Das Grebiet als ein Element des Staates wirkt auf den ganzen Lebensprozefs des Staates bestimmend ein. Die Natnrbedingangen and Wirkungen des Gebietes festzustellen, ist nicht Sache der Staatslehre and Politik, sondern der p h y s i - kalischen and politischen Geographie^), die aber daram in innigen Beziehnngen zn den Staatswissenschaften stehen.

Betracbtet man das Gebiet seiner phjsikalischen Seite nacb, so begreift es sitmtliche Natnrbedingangen des Staates mit Aas* nahme der phjsischen Aasstattang seiner Bewobner in sich. Also Bodenbeschaffenbeit, Frncbtbarkeit, Reicbtnm an Naturprodakten, Gr(>£Be, Gestalt and Gescblossenbeit des Territorinms , Lage an der See oder im Binnenlande , Dasein von Wasserstrafsen , geo- grapbiscbe Breite, Kliraa nsw. Alle diese Eigenschaften wirken entweder direkt oder dnrcb ibren Einflufs anf den Menschen zQsammen, um aaf die Organisation des Staates and Inhalt and Grenzen seiner Tiltigkeit Einflnfs za nehmen. Dafs z. B. die GrOlse des Staatsgebietes die Organisation des Staates mitbestimmt, bedarf kanm nttberer AnsfUhrung. Der Stadtstaat und der Fl&chenstaat mit weiten Bezirken sind zwei Grundtypen der politischen Organisation goworden. Dem antiken und mittelalter-

gesellschaftlichen yerh&ltnisse zugrnnde gelegt. Fur diese Lehren gilt, was oben von der Soziologie gesagt wurde. Wie vorsichtig sind denn auch die aus einer umfassenden Weltanschauung entsprungenen einschl&gigen Lehren Spencers im Vergleich mit der Leichtfertigkeit, mit der in neuester Zeit die ganze soztale Entwicklnng ^naturwissenschaftlich^ erklart wird. Bezeichncnd ftir diese Richtung ist die Sammlung von Monograpbien „Natur und Staaf, herausgegeben von Ziegler, Conrad and Hackel, 1903—04, die sich als L5sung einer Preisaufgabe dar- stellen: Was lemen wir aus den Prinzipien der Deszendenztheorie in Beziehung auf die innere politische Entwicklung und Gcsetzgebung der Staaten? Die zutreffendste Antwort auf eine solche Frage ware eine Rritik ihrer Zul&ssigkeit !

^) Letztere stellt nicht nur ftufsere, sondern auch sozialpsycho- logisohe Tatsachen fest, bietet daher ahnlich wie die Bcvolkerungs- lehre ein Beispiel fur die Unzulassigkeit reinlieher Schoidung zwischcn Natur- und Geisteswissenschaften.

74 Erstes Bach. Einleitende Untersuchungen.

lichen Stadtstaat, den kleinen Schweizer Kantonen ist die republi- kanische Form angemessen, dem Landstaat gr5f8eren Umfangs ist die Monarchic gUnstig, und erst die neueste Zeit hat grofse demokratische Republiken aufzuweisen. Zentralisation und De- zentralisation der Regierung und Verwaltung hUngen mit von der GrOfse des Staat^gebietes ^ von dem kontinuierlichen Zusammen* hang seiner Teile, von der Trennung und Abschliefsung seiner Glieder durch Gebirge, von insularer Lage ab. So ist die Gliederung der Amter in einem umfangreichen Staate ganz anders als in einem kleinen ; so haben Dezentralisation der Verwaltung und Sonderrechte kommunaler Verbftnde bei Bergvolkern so lange einen natUrlichen Boden, bis das moderne Verkehrswesen die einzelnen Taler untereinander und mit dem Zentrum in rasche Verbindung setzt; so sind die Institutionen von Staaten mit Binnengrenzen ganz anders gestaltet als die der Inselstaaten. Manche Institute des englischen Staates sind von Grund aus uur als dem Recht eines Inselstaates angehorig in ihrer eigentUm- lichen Ausgestaltung zu verstehen. Wttre Grofsbritannien nicht durch Jahrhunderte von fremden Invasionen verschont geblieben, so wtlrde sein Heer und mit ihm die ganze Stellung der Re- gierung einen anderen Charakter tragen. Die Naturbedingungen der Volkswirtschaft innerhalb eines Staates bestimmen in dauemder Weise die Kulturh5he, die ein Yolk erreichen kann, und damit seine eigene Leistungsftthigkeit , wie denn auch von ihnen die ganze innere und [iufsere Politik des Staates dauernd in wahr- nehmbarer Weise bestimmt wird.

Derartige Tatsachen haben die hervorragenden Staats- theoretiker aller Zeiten gekannt und verwertet. Bei Plato und Aristoteles wie nicht minder bei Machiavelli, Bodin, Montesquieu und Hume finden sich eingehende Untersuchungen tiber den Ein- flufs der Slufseren Natur auf Art und Schicksale der Staaten. Das 19. Jahrhundert hat im Zusammenhang mit dem grofs- artigen Aufschwung der Naturwissenschaft dem Naturelemeut im Staate eingehende Aufmerksamkeit geschenkt. So hat in popu- Iftrer und darum einflufsreicher Weise Th. Buckle den Einflufs der Natur auf die Staatenbildung und das Staatenleben eingehend untersucht und tiberschatzt. Vorsichtiger haben sodaun, den Spuren KarlRitters folgend, Geographon und Anthropologen *)

^) Vgl. Ratzel, Anthropogeograpbie, II, 1882—91; Kritische Be- merkungcn uber die hierhergehorige Literatur dasclbst I, S. 18 ft*., und

Viertes Kap. Bezieh. d. Staatslehre z. Gesamtbeit d. WisseDschaften. 75

die Gmndsteine zu einer besonderen Diaziplin za legen ver- sucht, deren Gegenstand die Untersnchnng des Einflasses der ErduberflHcbe aaf die Menscbenschicksale ist. Waren bis jetzt aber die allgemeinen Hestiltate solcber Forschungen, sofern sie nicbt unerlaubte Generalisierungen darstellten, dUrftig oder trivial, so werden aucb die neuesten Versucbe, die im Aufdecken kon- kreter Kausalreiben Hervorragendes geleistet baben, dock nur in wenigen Fsillen za allgemeinen Siltzen gelaDgen, die eine be- deutungsYolle Erweiternng unseres Wissens in sicb scbliefsen '). Denn die die staatlicben Gescbicke individualisierenden Momente liegen immer nur zum Teil, nnd zwar znm geringeren Teil, in den geograpbiscben YerbUltnissen , so dafs vom geograpbiscben Standpunkte aus niemals die allgemeinen und Sonderscbicksale der Staaten eine umfassende, in die Tiefe dringende Erklttrnng finden k(5nnen. Vor allem kann die zweite Naturbedingung des Staates, die Natnranlage seines Volkes, bei aller Einwirkung, die der Heimatsboden auf den Menscben zn gewinnen vermag, aus den Hufseren Bedingungen des Staatsgebietes beraus niemals von Grand aus verstanden werden. Daber aucb die grofse ge- scbicbtlicbe Erscbeinung, dais ein und derselbe Boden den ver- scbiedenartigsten Staaten und y($lkern als pbysikaliscbe Grund- lage gedient bat. Man denke blofs an die Staatenbildungen, die tiber die Fluren Italiens in buntem Wecbsel gezogen sind.

Anderseits aber ist aucb das Gebiet nicbt nur wirkend, sondem aucb empfangend. Der Menscb wird nicbt nur von der Heimaterde mitbedingt, sondem er gestaltet sie sicb aucb um. Verhftltnism^fsig kurze Zeitriiume genilgen, um weite Strecken der Erde nicbt unbetrttcbtlicb zu verilndern. Dem Ozean baben die Niederl&nder einen Teil ihres Territoriums abgerungen. Das Land der Vereinigten Staaten bat seit den ersten Ansiedlungen der Puritaner eine gewaltigere Revolution zu bestehen gebabt, als sie Naturkrafte in vielen Jabrtausenden bervorzubringen ver- m5gen. Die moderue Tecbnik bat entlegene Teile eines Staates einander gen&bert, bat rttumlicbe und zeitlicbe Entfernungen in ungeabnter Weise Uberwuuden. Sie bat Berge durchstocben. Seen

bei Achelis, Modeme VSlkerkunde, 1896, S. 70ff.; Ratzel, Politiache Geograpbie, 1897.

*) Ein allgemeines Schema, unter welches die Wirkungen der Natur auf die Menscben gebracht werden konnen , bei R a t z e 1 , Anthropogeographie, I, S. 59 if., 2. Aufl. 1899, S. 41 ff.

76 Erstes Buch. Einleitende Untenuchungen.

und Meeresteile aasgetrocknet , Wasserbecken geschaffen j Flufs- Iftufe verttndert. Wandemngen der Pflanzen and Tiere, durch den Menschen veranlafst, haben das AuAsehen and die wirtscfaaft- lichen Naturbedingnngen ^) ganzer Lender verilndert. Dichte An- siedlnngen, vor allem Stiidte, gestalten das Terrain von Grund aus um. Selbst das Klima ist durch Ansrottnng von Wllldem vielfach ein anderes geworden.

Das Gebiet ist zugleich das tote ond das unsterbliche Element des Staates. Es ttberlebt wenn es nicht ins Meer sinkt jeden Staat, der sich anf ihm bildet, um sofort als Grundlage eines neuen zu dienen. Ein Yolk kann zwar durch Erobemng, Einverleibung und andere Vorgllnge in einen anderen Staats- verband aufgenommen werden, und es kOnnen demgemttfs auch nach Untergang des Staates die Bewohner des Gebietes erhalten bleiben^ allein auch gUnzliche Vertreibung oder Ansrottung der bisherigen Bewohner und Ersetzung durch Eroberer hat die Geschichte oft gesehen. Auch durch Wandemngen, Vermischung mit siegenden StUmmen kann ein Volk allmtthlich ein anderes werden. Solch tiefgreifender Wechsel ist in historischer Zeit bei aller Anderung durch Natur und Kultur beim Gebiete ausgeschlossen.

2. Die zweite natUrliche Grundlage des Staates ist die phjsische Ausstattung seiner Bewohner, sowohl die alien Menschen gemeinsame als die, welche bestimmten, durch dauernde phjsische Merkmale geschiedenen Abteilungen des Menschengeschlechtes, den Rassen und Stttmmen, eigenttlmlich ist. Besondere Wissen- Bchaften, die phjsische Anthropologie und Ethnologic, haben sich mit diesem Teile der menschlichen Natur zu be- schAftigen. Leben und Schicksale des Staates werden anf das tiefste durch die Naturanlage seiner Glieder bestimmt'). Es gibt Stftmme, die Uberhaupt nicht imstande sind, sich ein fiber die ersten Rudimente hiuausgehendes Staatswesen zu schafFen oder ein entwickeltes Staatswesen dauernd zu erhalten. Dafs solche Stftmme entweder auf der Stufe eines Naturvolkes stehen bleiben oder nur in dauemder rechtlicber UnterwUriigkeit unter anderen Volkern leben kdnnen, beweist, dafs die Anlage zum

') Vgl. V. Treitschke, Politik, I, S. 207 ff.; Hehn, Kultur- pflanzcn und Haustierc, 6. Aufl. 1894, S. 1 ff.

*) Offen bleibe an dieser Stelle die Frage , inwieweit diese physi- schen Merkmale und Anlagen Ergebnisse durch ungemessene Zeiten wirkender historischer Ursachen sind.

Yiertes Kap. Bezieh. d. Staatolehre z. Gesamtheit d. Wissenschafteii. 77

Staate allerdings nicht in der Form eines mysteritSsen orga- nischen Staatstriebes mit zur Naturausstattung eines Volkes gehOrt oder, wo sie nrsprUnglich nicht vorhanden war^ durch jahrhnndertelange Gewdhnung und Anpassung erworben werden mnfste.

Aber auch die eigentUmliche Ausgestallung, die jeder Staat erflihrty ist in vielen wicbtigen Punkten auf Rassen- und Stammes- eigenscbaften zurUckziifUbren. Freibeit und Unfreiheit der Bllrger, Stilrke oder Scbwttcbe der Staatsgewalt, Ausdehnungsf^higkeit des Staates durcb Krieg und Kolonisation sind mit in dem mit nnseren gegenwftrtigen Forschungsmitteln nicbt weiter ableitbaren Charakter des Yolkes begrtindet. Die tiefgreifenden Unterschiede der germauiscben, romanischen^ siawiscben, oriental iscben Staaten sind allein aus der Verscbiedenheit der sozialen VerbUltnisse, die oft grol^e Obereinstimmung aufweisen, uicbt zu erkl&ren. So ist denn obne Einsicbt in die etbniscben Unterscbiede ein voiles VerstHndnis der Yerscbiedenartigkeit der Staat en welt nicbt za gewinnen *).

Diese pbjsiscben, fUr den Staat bedeutsamen Unterscbiede sind aber stets psyebiscb vermittelt. Sie baben daber alle eine geistige Seite^ deren Frforscbung nicbt der Naturwissenscbaft an-

') Hierhergeborige Untersuchungcn aua der neuen Literatur riehtODggebend zuerst bei Gobineau, Essai sur Tinegalit^ dos races humaines, I IV, 2. ^d. 1884; sodann z. B. bei Letourneau, La socio- logie d'aprte rahnographie, 1880, 1. IV, cb. VI— VIII ; Peschel, Velkerkunde, 3. Aufl. 1880, S. 247 ff.; Ratzel, VSlkerkunde, 2. Aufl. 1894, S. 121 ff.; Vierkandt, Naturvolker und Kulturvolker , 1896, S. 310 ff.; Scbmoller, Grundrifs der allg. Volkswirtschaftslehre, 4.-6. Aufl. 1901, S. 139 ff. (mit zahlreichen Literaturangaben); W o It- man n, Politische Anthropologie , 1903. Einen eingeheuden kritischen Uberblick uber diese Tbeorien gibt Friedricb Hertz, Moderne Hassentheorien , 1904. Vgl. auch die besounenen Ausfuhrungen von Lindner, a, a. O. S. 93 ff. So sehr die Scheidung der somatiscben von den bistoriscben Ursachen des V5lkerlebons theoretisch ge- fordert werden mufs, so wenig sichere Result ate hat die Wisscnschaft in dieser Hinsicbt bisher aufzuweisen. Nicht einmal iiber die Frage der Veranderlicbkeit der Kassenmerkmale herrscht irgendwie Oberein- ^timmung und damit uber das Mafs der Einwirkung der historisch- ^ozialen Faktoren auf Bildung und Umbildung der Kasucn. Daher bieten sich die zahlreichen anthropologischen und ethnologischen Hypo- thesen jedem , der seinen politischen und sozialen Velleitaten ein ^'issenstehaftlicbes Mantelchen umhangen will, zur beliebigen Aus- wabl an.

78 Erstes Buch. Eioleitende Untersuchungen.

geh6rt. Somit zeigt uns die Betrachtung der somatischen, anthro- pologiscben und ethnologischen Verhttltnisse den tlbergang zu den folgenden Ertfrterungen an.

III. Das VerhilltDis der Staatslehre zn den Bbrigen

Staatswissenschaften.

1. Die Beziehnngen der Staatslehre zur Psjchologie

und Anthropologi e.

Die staatlichen Vorg^nge sind insgesamt menschliche Hand- lungen und Wirkungen menschlichen Handelns. Alles Handeln ist aber psychische TUtigkeit. Daber ist die Psjcbologie, die Lebre von den psjcbiscben Zustftnden und Akten, Voraus- setzung wie aller Geisteswissenscbaft so aucb der Staatslehre. Die Bedeutung psycbologiscber Betrachtung fUr die Erkenntnis des Staates zeigt sich namentlicb nacb zwei Ricbtnngen hin. Einmal lebrt sie die wicbtige Erkenntnis, dafs der Staat, wenn aucb seine Aufserungen sich notwendig in der pbjsiscben Welt abspielen, wesentlicb eine innermenscblicbe Erscbeinung ist. So- dann vermittelt sie uns das VerstHndnis der staatlichen, namentlicb der staatsrecbtlicben Grundtatsacben. So vor allem ist das Wesen eines Herrscbaftsverbttltnisses, die Natur des Imperiums, nur durch psycbologiscbe Analyse klar zu erfassen.

Wie schon erwiibnt, ttufsern sich die somatiscben Unterschiede der menschlichen Rassen und Stttmme aucb in den Unterscbieden der geistigen und sittlicben Aulagen. Diese im Zusammenbang mit jenen pbysiscben Differenzeu zu erkunden, ist Aufgabe der psychiscben und sozialen Antbropologie und der Ethno- graphie sowie mebrerer noch nicht v5llig in ibrer Eigenart festgestellten Disziplinen, die sich den genannten Wissenscbaften zu koordinieren tracbten, wie der V(5lkerpsycbologie und Ethologie. Aucb die Sprachwissenscbaft ist bernfen, an dieser Arbeit in hervorragendem Mafse mitzuwirken. Die Ge- samtheit dieser Disziplineu irifft in der Wurzel mit dem anderen Zweig der sich mit dem Menschen als Genuswesen bescbUftigenden Wissenscbaften, den Sozialwissenscbaften, zusammen. Von diesen unterscheiden sie sich aber dadurch, dafs sie Uberwiegend die Wirkungen natUrlicher Verbal tnisse auf psychische Gestaltungen erforscben, wahrend die Sozialwissenscbaften ibre Objekte Uber- wiegend als Produkte gesellscbaftlicher, also geistig-sittlicber, nicbt

VierteB Kap. Bezieh. d. Staatslehre z. Gesamtheit i, Wissenschaften. 79

der ftnlseren Natur angeh^riger Kriifte aaffassen. Eine reinlicbe Scheidnng ist indes kanm ilberall durcbznfiUhren , daher wir in anthropologischen Werken eingehende ErOrternngen rechts-, staats-^ religions- und wirtschaftsgeschichtlicher Art vorfinden.

Von grofsem Werte sind anthropologische, ethnographische und spraehwissenschaftliche Untersuchungen wie fUr alle KulturanfUnge so anch namentlich fUr die Entstehuugs- und Entwicklungsgeschichte der primitiven Staatenbildungen. Sie belebren uns Uber Sein und Wirken der ursprilnglicben GemeingefUble, auf denen sicb spllter eiitwickelte Cberzeugungen von dem Herrschen verpflicbtender geistiger Mlicbte in alien geselligen Beziebungen aufbauen. Wenn aucb beute auf diesem Gebiete, sobald der Kreis des rein Tat- sILcblichen tlberscbritten und der der Hjpotbese und Konstruktion betreteu wird, grofse WillkUrlicbkeit und wenige feststebende Er- gebnisse zn finden sind, so sind docb vielversprecbende Anf^nge, die spllter einmal reife Frttcbte zeitigen k($unen, zu verzeicbnen. Aucb die detaillierte Lebre von dem rudimentHren Staatsleben der Jager- und HirtenvOlker so wie der auf der niedersten Stufe stebenden Naturvolker wird von der Staatslebre billig auszu- scbeiden und der VOlkerkunde zu Uberlassen sein. FUr die Staats- lebre sind nur die definitiven Resultate auf diesem Gebiete von Bedeutung.

2. Die Beziebungen der Staatslebre zu den

Sozialwissenscbaften.

a) Das Problem.

Weitaus am wicbtigsten fUr eine vollendete Erkenntnis des Staates sind die Beziebungen, welcbe die staatlicben Erscbeinungen za den Sozialwissenscbaften baben. Der Staat ist auf das innigste mit alien sozialen PbUnomenen verknUpft.

Vor allem sei darauf bingewiesen, daTs der Staat eine menscbliche und nur eine menscblicbe Institution ist, dafs alle Cbertragung des Staatsbegriffes auf gesellig lebende Tiere nicbts als ein falscbes Bild ist, auf der Verwecbslung notwendiger Folgen pbysiscber Organisation und instinktartig sicb ftufsernder psycbischer Kriifte mit dem Wirken etbiscber Krftfte berubend. Zudem hat besonnene naturwissenscbafllicbe Beobacbtung neuestens erkannt, dafs die von alters ber zu staatswissenscbaftlicben Analogien benutzten angeblicben Tierstaaten der Ameisen und Bienen, deren Wesen im Gegensatz zu den politiscben Er-

go firstes Buch. £inleitexide Untenuchungen.

scheinungen keinem Wandel unterworfen ist, id Wahrheit Anarchien sind, denen jeder bewufst leitende Wille mangelt. Man kanu daher auch bei hQheren Tiereu nur von Tiergesellschaften mit Fug und Recht sprechen: es gibt untermenscblicbe Sozial- verbttltnisse, aber keinen untermenscblichen Staat^).

VermQge seines menschlichen Elementes ist der Staat eine soziale Massenerscheinung und setzt daber eine Vielbeit von Menscben voraus, in der alle natUrlicbeu Unterscbiede nnter den Menscben entbalten sind. £r ist mit aufgebaut auf die natttrlicben Unterscbiede von Mann und Weib, von Erwachsenen und Kindern, da er eine dauernde, nicbt auf eine Generation bescbrftnkte Institution ist. Eine Kolonie mttnnlicber Deportierter, auf einer Insel ibrem Scbicksale fiberlassen, wttrde bdcbstens einen Verein, aber keinen Staat darstellen. Der Umfang der dem Staate n(5tigen Menscbenmasse kann aber ins unendlicbe variieren, von wenigen Tausenden, ja Hunderten bis za vielen Mill ion en. Die Staatslebre bat seit Aristoteles oft den ftir den entwickelteren Staat b6berer Kulturstufen zweifellosen Satz betont, dais der Staat Uber den Umfang einer Familie binausgeben mUsse dabei an ein zeitlicbes Prius der Farailie denkend^). Neuere

>) Vgl. W u n d t , Vorlesungen uber Menschen- und Tierseele, 3. Aufl., S. 471 ff.; Espinas, Des soci^t^s animalcs, 2. 6d. 1878, p. 527 ff.; H. £. Ziegler, Die Naturwissenschaft und die eozialdemo- kratische Theorie, 1893, S. 182 if.: Be the, Durfen wir den Ameisen und Bienen psychische Qiialitaten zusohreiben? Pflugers Archiv fur die gesamte Physiologie, 70. Bd., 1898, S. 15 ff. Gegen Bethe Wafs- mann, Die psychischcn Fahigkeiten der Ameisen, 1899. Aus der neuesten Literatur Girod-Marsball, Tierstaaten, 1901, S. 85ff., 186 ff.

-) Allerdings nicbt immer. Nocb Ha Her hat die theologiseh- spekulative Lehre von Adam als erster Souveran vertreten. Dahl- niann, S. 3, behauptet: Die Urfamilie ist der Urstaat; jede Familie unabh^ngig dargestellt, ist Staat. Ahiiliih Br. Schmidt, S. 57. Bei der dynamischen Natur dos Staates kann man auch bei primitiven Ver- bal tDissen von Xaturvolkcrn der Gt'genwart in der Familie bereits einen Staat erblicken. So erzahlt Ratzel, Politische Geographic, S. 71 N. 12, von Familicn als politischen Einheiten bei Melaneaiern und Mikronesieni. Darauf grundet Rehm, Staatslehre, S. 38, die Existenz von FamilicDstaaten. Eh liegt aber ein Fall zu weit gehender Induktion (vgl. oben S. 23) vor, wenn man die Kulturstaaten mit jenen primitiven Verbandcn zu einer Einheit zusammeufafst. Namentlich fur die recbt> liche ErfassuDg des Staatos ist seiche zu weit getriebene Vergleichung wertlos. Kehm selbst wird doch einer melanesischen Familie nicbt volkerrechtliche Personlichkeit fiir ihn das wesentliche Staats- merkmal zuschreiben wollen.

Viertes Kap. Bezieh. d. Staatslehre z. Qesamtheit (L Wissenschaften. 81

urgescfaicbtliche Hypotheseu stellen die Horde als den urBprUng- lichen menschlicben Verband bin. Beide Tbeorien stimmen aber darin Uberein, dafs der Staat nicbt blofs aaf den Bestand einer Generation gestelit sein dUrfe.

Nicbt nnr die Nataranlage des Volkes, sondern aucb Zabl nnd Art seiner Bewobner bestimmen den ganzen Lebensprozefs des Staates. Dttnne oder dicbte^ zn geringe oder zu grofse Be- Tdlkemngy Verteilung der Lebensalter und der Gescblecbter, Lebensdauer, Sterblicbkeit sind Tatsacben, die auf der Staaten Schicksale Einflufs baben. Diese Tatsacben sind zwar biologiscber Art, jedocb llberwiegend das Resultat der gesamten Kultur eines Volkes. Die sicb mit ibnen bescbUftigende Wissenscbaft , die BevOlkerungslebre, geb(5rt daber, wenn aucb untersttltzt Ton Biologie und Antbropologie , zu den Sozialwissenscbaften ^). Sie ist gleicb der gesamten sozialen Statistik eine Hilfs- wissenscbaft aller Geseliscbaftswissenscbaflen und daber aucb der Staatslebre.

Da der Staat eine gesellscbaftlicbe Erscbeinung ist, so mufs die Stellung des Staates in und zu der Gesellscbaft untersucbt werden, nm eine vollendete Anscbanung von ibm zu gewinnen. Vorerst jedocb mufs das Wesen der Gesellscbaft dargelegt werden *).

b. Der Begriff der Ge sellscbaft.

Wie alle Begriffe, die nicbt nur in der Wissenscbaft, sondern aucb im t%licben Leben ibre Steile baben, ist der der Gesell- scbaft vieldeutig. Yon der yorttbergebenden zufKUigen Vereinigung

') Ygl. G. Kumelin, in Schdnbergs Handbucb der politischen Okonomie, 2. Aufl., 11, S. 884.

*) Umfassendere Untersucbungen iiber die Gesamtbeit der termi- nologiscb unter dem Wort „Ge8ell8chaft" zusammengefarsten Vor- stellungen bei Jbering, Der Zweck im Recht, 2. Aufl., I, S. 86 if., 309 ff.; G. Rumelin, tJber den Begriff der Gesellscbaft und einer GeseUschaftslebre, Reden und Aufsatze, III, 1894, S. 248 ff.; T5nnies, Gemeinschaft und Gesellscbaft, 1887, S. 4ff.; Wundt, Logik, II «, S. 589ff.; Stammler, a. a. 0. S. 83ff.; Simmel, Schmollers Jahr- bucb, XX, 1896, S. 675 ff.; Kistiakowski, Gesellscbaft und Einzel- wesen, 1899, S. 81 ff.; Gothein, Gesellachaft und Gesellscbaftswissen- schaft, im H WB. der Staatswissenschaften, 2. Aufl., IV., S. 201 ff. ; 0. Spann, Untersucbungen uber den Gesellacbaftsbegriff, Tubinger Zeit- schrift f. d. g. Staatsw., LIX, S. 574 ff.

Jellinek, Das Becht des modernen Staates. I. 2. Aufl. 6

32 Erstes Buch. Einleitende Untersuchungen.

mebrerer Personen bis zum Staate hinauf, ja Uber den Staat hinaus auf die ganze menschlicbe Gemeinscbaft wird das Wort ^Gresellscbafb*^ angewendet. Staat und Gesellscbaft sind ebenso bttufig identifiziert als in Gegensatz zueinander gestellt worden. Bis in die neuere Zeit allerdings warde der Terminus ^Gesell- scbaft'^ im Sinne des weiteren Begriffs gebraucbt, dem sicb der Staatsbegriff als engerer nnterzuordnen bat. Historiscb ist dies dadurcb begrUndet, dafs Aristoteles den Staat znerst als eine Art der YX>iviavia bezeicbnet und Cicero den Begriff der societas als alle organisierten menscblicben Gemeinverbllltnisse umfassend aufgestellt hat.

Spiiter war es das Naturrecbt, das mit dem Gesellscbafts- begriff operierte. Ibm fUllt unter dem Einflufs des aristoteliscben Gedankenkreises der Staat mit der societas civilis zusammen, die als andere Art derselben Gattung neben sich nur die societas domestica kennt. Es ist aber aucb im Naturrecht eine leicbte Differenz zwischen Staat und bttrgerlicber Gesellschaft^ trots der Gleichsetzung beider^ wahrzunebmen. Namentlicb seit Hobbes wird nftmlicb der Staat von der naturrecbtlichen Tbeorie als Person aufgefafst, in der die Gesellschaft ibre Vollendung erreicbt. Aber sie selbst ist bereits frUber vorhanden. Seit Pufendorf wird es in der schulgerecbten naturrecbtlichen Theorie tlblich, dem Staate eine Reihe von Vertrttgen zugrunde zu legen, so dafs er nicht sofort^ sondern erst als Produkt sUmtlicher Vertrttge er- scheint. In dieser Reihe tou Vertrttgen tritt zuerst der Unions- vertrag auf, durch den allein schon eine, wenn aucb der Ver- fassung und leitenden Gewalt entbehrende Gesellschaft entsteht. In der zweiten Htllfte des 18. Jahrhunderts wird der Gedanke der dem Staate vorangehenden Gesellschaft nfther verfolgt. Zuerst vertritt der Schotte Fergus on eine Lehre, welche den Staat zu bereits frilher vorhandenen menscblicben Gemeinschaftsverhftltnissen geschichtlich hinzutreten Iflfst^). Sodann hat in scharfer und klarer Weise Schl^zer die logische Konsequenz der Natur-

') An essay on the history of civil society, 1766 (deutsch Leipzig 1768), part I, sect. I— IV, part III, sect. I— III. Dieses Buch, das in Deutschland sehr hoch gewertet wird, Piehe T west en, Preufsische Jahrbucher, IV, 1859, S. 305, Waentig, August Comte und seine Be- deutung fur die Entwicklung der Sozial wissenschaft , 1894, S. 27 flF., wird in England auffaliend gering geschatzt; vgl. Leslie Stephen, English thought in the eighteenth century, 2. ed. 1881, I, p. 214, 215.

Viertes Kap. Bezieh. d. Staatslehre z. Gesamtheit d. Wissenscliafteii. B3

rechtslehre gezogen und als der erste deutsche Schriftsteller Staat and Gesellschaft zu unterscheiden getrachtet. Die bttrgerliche Gesellschaft, fUr die er einmal den Namen ^Oemeinde^ vorschlttgt^ bezeichnet er als eine dem Staate vorhergeheude Vereinigung ohne Im peri am. Sie sei fttr viele SUlmme die bOchste Form des geselligen Daseins, and der Staatenbund der dreizebn Scbweizer Kantoue ist ihm ein Beispiel einer societas sine imperio mitten im zivilisierten Enropa. Gesellschaft ist also fUr SchlOzer eine grdfsere anarchiscbe menscblicbe Vereinigang. In dieser Ver- einignng entsteben aber bereits Recbtsregeln , deren Befolgang allerdings ^^von der Ehrlichkeit eines jeden^ abblingt, da Ricbter and Strafe in der Gesellschaft uoch nicht extstieren; femer ent- steben aaf Grand des Eigentams and der Okonomiscben Berafe soziale Klassen, ein Adelstand bebt sich ttber die anderen empor, die Begriffe von Ebre and Vaterland entwickelu sich. Der Staat tritt daber mit seinem Imperium zu der bereits reich gegliederten Gesellschaft erst spftter hinzo, am sie za schUtzen and za leiten'). Der Staat erbebt sich also nicht fiber eine anterschiedslose Masse einzelner Individaen, sondern findet bereits ein darch ve